Samstag, 10. Oktober 2009

E24 - O Cebreiro

Pereje bis O Cebreiro (km 630)
23 km, 5 Std, 3E Herberge, 10 E Bocadillos & Bier, 9E Nachtessen

Gemäss Wanderbuch und auch gemäss Kerkeling ist das die schwerste Etappe auf dem ganzen Camino. Der über 10  Kilometer lange Anstieg nach O Cebreiro soll's ganz schön in sich haben. Aber statt Angst davor zu haben, freue ich mich darauf, mal wieder richtig nach vorne liegen zu können und die Lungen durchzulüften. Nicht wenige vertrauen für diese Etappe den Rucksack einem Transportservice an, um lastenfrei gehen zu können. Mich würde das eher belasten, wenn ich den ganzen Tag studieren müsste, ob mein Zeugs auch wirklich dort ankommt. Gestern in Pereje hatte da nämlich eine ganze Gruppe diesbezüglichen Ärger. Und das nicht etwa aufgrund von Sprachproblemen, denn es waren Spanier, aber irgendwie scheint der Rucksacktransport sehr in die Hosen gegangen zu sein. So tönte es auf jeden Fall, aber die Spanier tönen ja immer wie wenn sie fluchen würden.



Der letzte laaaange Anstieg auf dem Camino.

Eigentlich wollte ich auf keinen Fall in O Cebreiro bleiben, weil es da nur eine einzige Herberge gibt und mir die Spanier auf den Fersen sind. Aber auf dem langen Schlussanstieg komme ich zur Einsicht. Es kann doch nicht sein, dass ich mir von anderen indirekt das Tempo bestimmen lasse? Habe ich nicht den ganzen Weg damit geprahlt, wie ich mich niemandem anschliesse, um mein eigenes Ding zu machen? Wenn ich vor jemandem davon renne, bestimmt der ja eben genau auch mein Tempo! Wäre es nicht eher an der Zeit, zu lernen, auch mit mir unangenehmen Zeitgenossen umzugehen, oder sogar anzufangen, das Gute bei ihnen zu suchen? Immerhin sind sie ja lebensfroh, vieleicht sogar lustig? Ist ja mein Problem, dass ich kein Spanisch kann! Bevor ich aber ganz lammfromm werde, will ich's noch einmal wissen: mit den Franzosen habe ich auch noch ein Problem, aber das löse noch nicht heute. Die Typen sind immer so competitive, so wettbewerbsorientiert. Heute will sich mir einer anhängen in dem schweren Stutz, aber schliesslich bin ich schon Obersee und Sonnenalp gegangen, also ist das mein Terrain. In der einen Hand halte ich lässig den aufgespannten Schirm (an sich schon eine Provokation; ein echter Pilger schwitzt in der Pelerine!), mit der anderen fuchtle ich ein bisschen mit dem Wanderstock durch die Gegend. Aber ich werde schneller und schneller, der Typ hinter  mir atmet, schnauft, röchelt immer heftiger, trotz professioneller Ausrüstung und geübtem Stockeinsatz. Die Dinger scheinen also auch aufwärts nicht viel zu bringen, auch wenn es alle immer wieder behaupten. Auf einem kurzen Flachstück steht der Grenzstein zu Galizien, der letzten zu durchwandernden Provinz. Diesen muss ich unbedingt fotografieren. Der Typ, eh' schon dem Kollaps nahe, traut sich aber nicht, mich zu überholen. In seiner Verlegenheit kommt im nichts Dooferes in den Sinn als Blumen zu pflücken, bis ich mit dem Fotoshooting fertig bin...



Ab jetzt bin ich in Galicien; zur regenreichsten Zeit in der regenreichsten Gegend Spaniens.

Auf dem letzen Anstieg geniesse ich ein letztes Mal meine sadistischen, menschenfeindlichen Neigungen, denen ich ja ab heute Abend schon abschwören will und gebe nochmals tüchtig Gas. Zugegeben, auch wegen dem wieder bedrohlicher aussehenden Himmel. Diesen Stutz möchte ich nicht bei Regen gehen, die Wege werden dann sicher zum Flussbett und das zweifellhafte Vergnügen, in knöcheltiefem Lehm zu waten, hatte ich ja bereits.


Der Touristenort O Cebreiro.


Es bleibt mal wieder mehr als genug Zeit, um das herzige, etwas künstlich wirkende Steindorf zu erforschen. Es scheint ein echter Touristenknüller zu sein. Es ist Wochenende und richtiggehend überlaufen. Die wenigen Parkplätze vor und nach dem Dorf (im Dorf hätte es gar keinen Platz) sind voll von Bussen, und in den Restaurants muss ich als hungriger Pilger anstehen, um mir ein Brötchen zu ergattern. Als ich nochmals zur Herberge zurückspaziere, sehe ich Trina mit starrem Blick und weit ausholenden Schritten vorbei fliegen. Ich winke kurz, aber sie sieht gar nichts, schaut nicht links, nicht rechts. Was hat die wohl gebissen? Der Weg führt unter der Herberge durch, und oben an der Herberge erblicke ich jetzt ein Plakat, das besagt, dass die Herberge im nächsten Dorf geschlossen ist. Super. Das lesen also genau die nicht, die weiter gehen, sondern nur die, die sowieso hier bleiben! Hoffentlich weiss es Trina. Zu spät, sie aufzuholen und zu warnen.



Bei besserem Wetter hätte man eine wunderbare Aussicht von der Herberge (Haus rechts).

Beim Eintritt in die Herberge wollen sie es wieder einmal genau wissen: wie alt ich denn sei. Ich sage wahrheitsgemäss "forty six", aber die Dame glaubt mir nicht. Also ein Versuch auf Spanisch: "caranta sei", aber da schüttelt sie erst recht den Kopf. Das sei falsch, belehrt sie mich, das heisse "treinta sei". Sie meint also tatsächlich, ich sei erst 36 und hätte nur ein Sprachproblem! Auch die breit grinsende Brasilianerin hinter mir in der Schlange glaubt mir nicht, ich sehe höchstens wie 36 aus! Ich weiss jetzt gar nicht, wie mir wird. Es funktioniert also: kaum nehme ich mir vor, die Leute positiver zu sehen, schon komme ich bei ihnen besser weg denn je! Wow! Das geht auch beim Nachtessen, das ich mir trotz einiger bereits vertilgter bocadillos genehmige, so weiter: eine ausnehmend freundliche, nette Irin setzt sich zu mir, obwohl es noch mindestens fünf freie Tische hat. Sie hat ein rundes Gesicht, mit strahlenden Augen und von wilder Lockenpracht umrahmt und hiesst glaub ich Nuola oder so ähnlich, und ich verbringe den gemütlichsten Abend des ganzen Caminos. Trina gestern war auch nett, aber heute kann ich Englisch sprechen! Nuola ist heute 43 (!) Kilometer gewackelt und erst vor einer Stunde angekommen. Vieleicht findet sie mich gar nicht nett, sondern hat sich vor lauter Müdigkeit einfach an den ersten Tisch gesetzt... Wir haben uns vorher nie gesehen, plaudern, scherzen und verarschen uns, wie wenn wir seit langem zusammen wären, und sehen uns anschliessend nie wieder. Typisch Camino eben.

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