Dienstag, 6. Oktober 2009

E20 - Astorga

San Martin del Camino bis Astorga (km 523)
25km, 5 1/2 Std, 4E Herberge, 11E Essen plus Div.

Ein besch... Tag, ich bin das erste Mal seit St-Jean-Pied-du-Port voll in der Krise. Zuerst regnet es was das Zeugs hält, das ist für meine Laune schon mal nicht gut. Dann schmerzt das Schienbein mehr denn je. Es ist wirklich kein Problem, es bremst mich ja nicht mal. Aber es nervt und ich will mich gut fühlen. Am meisten nervt mich, dass ich mich davon nerven lasse! Nach Hospital de Orbigo wähle ich angesichts des Wetters wieder mal die einfachere, aber langweiligere Variante. Wie gehabt mal links, mal rechts auf Kieswegen neben der N120. Ideal zur Meditation, die Gegend lenkt einem wirklich nicht ab... Auch wenn mich einige Pilger schräg angucken: der Schirm bewährt sich, vor allem bei diesem unbeständigen Wetter. Statt Poncho-an-Poncho-ab heisst es bei mir einfach Schirm-auf-Schirm-zu.


Pilgerschikane eingangs Astorga.

Für den kleinen Adrenalinkick sorgen jeweils die Stellen, an denen die Strasse für einen Seitenwechsel überquert werden muss. Mal abgesehen davon, dass schon der Grund dazu nicht immer einleuchtet, frage ich mich, warum das ausgerechnet immer an den gefährlichsten Orten sein muss. Strassenüberquerungen scheinen in den Augen spanischer Verkehrsplaner grundsätzlich nur nach engen Kurven oder unübersichtlichen Kuppen möglich. Will man so die Pilgerpopulation regulieren? Übertriebene Fürsorge wird einem dann Eingangs Astorga zuteil: an einem kaum befahrenen, eingleisigen Bahntrasse wird man mittels einer völlig überdimensionierten, schikanösen Brückenkonstruktion über die einzige Schiene geschickt. Ich getraue mich aber nicht, einfach geradeaus an der geschlossenen Barriere vorbei zu schleichen; hat etwas gar viele grimmig guckende Einheimische, die sicher nur darauf warten, einem lästigen Pilger eins auszuwischen! Das denke ich jedenfalls in meiner schlechten Laune. Ich muss mich zusammenreissen, das Positive suchen: ich bin gleich am Ziel und hey, die Sonne scheint!


Aussen hui, innen eher pfui: die Gemeindeherberge. Besser dran vorbeigehen, zur privaten.

Ich mache, vermutlich immer noch durch die Schmerzen abgelenkt, den Anfängerfehler, gleich in die erstbeste Herberge zu gehen. Ein Flopp! Von aussen sieht sie ja noch eindrücklich aus, und "Siervas de Maria" tönt doch Vertrauen erweckend. Aber zuerst muss ich ewig lange anstehen, obwohl nur vier Leute vor mir da sind. Die 4-er Zimmer sind eng, die Holzbetten knarren und natürlich ist wieder der Vizeweltmeister im Lautschlafen gerade dabei, sich für die kommende Nacht einzuschnarchen. Als ich dann auch noch Halsweh kriege, sinkt die Stimmung auf den Nullpunkt. Am Hochzeitstag in diesem Zustand alleine in ein Restaurant zu sitzen macht mich jetzt aber gar nicht an. Ich kaufe mir im Supermarkt die obligatorische chorizzo mit Zutaten und merke wieder einmal, dass es günstiger käme, ein Pilgermenu zu verdrücken. Es ist ja eine alte Weisheit, dass man mit leerem Magen immer zu viel einkauft.



Ein Schinkenmuseum?

Astorga hätte einiges zu bieten fürs Sightseeing. Aber mehr als ein kurzer Streifzug liegt mit dem Bein nicht drin. Den Bischofspalast von Gaudí wollte ich mir aber nicht entgehen lassen. Dieser Typ hatte offenbar ein Riesengaudi daran, dieses total verspielte und eigentümlich surreal wirkende Märchenschloss hierhin zu stellen. Ich kann mich von dem Anblick kaum mehr lösen, grinse in mich hinein. Je länger ich das Gebäude anschaue und mich zu fragen beginne, warum er es nicht aus Würfelzucker gebaut hat und versuche, mir das Innere vorzustellen, umso mehr hellt sich mein Inneres auf. Unglaublich, aber das Haus schafft es, meine Stimmung wieder ins Positive zu rücken. Ein paar SMS mit der Liebsten zu Hause, und schon geht es mir wieder mindestens so gut, dass ich beschliesse, mich zusammenzureissen und meine kleinen Probleme, sprich Schienbein- und Halsschmerzen nicht einfach zu erdulden, sondern zu lösen.



Mit Gaudí's Märchenschloss im Rücken hebt sich allmählich die Stimmung.

Pilger Rudi rüstet auf! Fertig lustig! Ab in die farmacia! Von diesen Apotheken hat's ja schliesslich genug am Wegesrand, die leben vermutlich nicht schlecht von all den fusskranken Pilgern, zu denen ich mich ab sofort auch zähle. Endlich gehöre ich auch dazu, endlich kann ich auch ein bisschen leiden! Der Zynismus vergeht mir zwar wieder, wenn ich Leute sehe, die tatsächlich nicht mehr weiter können, aber jetzt geniesse ich das Jammern noch ein bisschen. Ich setzt also mein wehleidigstes Gesicht auf und erkläre dem mitleidig dreinschauenden Mann in der weissen Schürze in meinem besten Spanisch: "Quisiero una medicina contra dolor de gargante!". Er antwortet zu meinem Entsetzen in seinem besten Englisch, dass er starke und ganz starke Mittelchen habe. Da gebe ich mir ausnahmsweise Mühe mit der Sprache der Einheimischen, und dann... Egal, Hauptsache ich kriege den ganz starken Halsspray und für's Bein noch eine Tube ibufén gel, cheel gesprochen. Zum Nachtessen werfe ich noch ein Voltaren nach. Ich hoffe, mein Körper rebelliert nicht gegen diese medizinische Generalmobilmachung.

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