Freitag, 9. Oktober 2009

E23 - Pereje

Ponferrada bis Pereje (km 607)
30km, 6 Std, Herberge gratis (niemand da)!, 10E Essen

Wieder dasselbe: die Spanier veranstalten einen Zirkus bis in alle Nacht, aber als ich am Morgen, nota bene als das Licht schon angezündet war, mit jemandem ein paar gemurmelte Worte wechsle, regen die sich furchtbar auf. Die schönste Herberge nützt nichts, wenn man ...ehm... Leute hat, die Türen nicht oder nur mit einem Knall schliessen, das Licht nicht löschen, in den Dreckschuhen ins Zimmer latschen, die Toilette nicht spülen und - aber das hatten wir glaub' schon - eben schnarchen wie die Holzfäller. Zum Glück bekomme ich mit, dass die sich alle in Villafranca treffen wollen. Ich weiss also immerhin, wo ich heute nicht übernachte...



Ein bisschen Motivation unterwegs: Wein und Bier, das rat' ich mir...

Es läuft sich weiterhin gut heute, kein Regen in Sicht, wieder einige schöne Dörfer, die offensichtlich alle vom Camino leben. Den ersten Teil der Etappe kürze ich ab, das heisst, ich wähle einen nach Wanderbuch "oft begangenen Weg" entlang der schnurgeraden Ausfallstrasse aus Ponferrada. Die ist, mindestens im Dunkeln, nicht so einfach zu finden. Hat man sie mal gefunden, bräuchte es eigentlich keine Pfeile mehr, es geht ja wie gesagt geradeaus. Da die Strasse durch tausende von Kreiseln unterbrochen ist, ist es nicht immer einfach, am anderen Ende des Runds die Strasse zu finden, die wirklich geradeaus geht. Und wir Pilger lieben es nun mal gar nicht, wenn kein gelber Pfeil mehr in Sicht ist. Auf jeden Fall komme ich mir ganz, ganz mutig vor. Es dauert mehr als eine Stunde, bis ich wieder Pilger sehe, und ich war selten so froh darüber. Im ersten Dorf mit dem einfach zu merkenden Namen Camponaraya sehe ich wieder Gelbes, da kommen die Wege wieder zusammen und meine einfache Pilgerwelt ist wieder schwer in Ordnung.

Manchmal vergesse ich, auf mein Schienbein Rücksicht zu nehmen und haue wie 'früher' schwungvoll mit dem Absatz aufs Pflaster. Im weichen Gelände macht das lange nichts, aber hier merke ich es jetzt. Dabei habe ich mir doch extra so eine Art Vorfusswandern angewöhnt: das linke Bein ein bisschen höher als normal anheben, um dann mit der Fussspitze zuerst aufzusetzen. Sieht wohl ein bisschen beknackt aus, wie wenn ich etwas im Schuh hätte, aber es hilft und bremst mich nicht. Beansprucht allerdings die Wadenmuskulatur überdurchschnittlich, aber die ist bei mir ja gut trainiert. Mir fällt erstmals auf, dass vor vielen Häusern Wasserflaschen stehen. muss wohl ein alter Brauch sein, die Pilger mit Wasser zu versorgen. Viele, aber natürlich bei weitem nicht alle Einheimischen zeigen nämlich grosse Ehrfurcht vor der Leistung der Pilger. Das merkt man oft schon an der Art, wie sie einem das obligatorische "buen camino" nachrufen. Bei Vielen scheint das wirklich aus tiefstem Herzen zu kommen. A propos Wasser: wegen dem meckernden Schienbein bin ich seit drei Tagen auf Alkoholentzug, weil ich befürchte, es könnte sich um eine Entzündung handeln. Ich trinke unterwegs viel Wasser oder neuerdings Süssgetränke, Coke oder 'KAS'. Ich bilde mir sogar ein, dass mir das jeder Schluck einen Energiekick gibt.


Villafranca del Bierzo, wo früher entkräftete Pilger schon die Compostela erhielten.

Villafranca, dass ich bereits um 12 Uhr erreiche, ist zwar ein schönes Städtchen, aber ich fürchte immer noch das pilgernde Spaniervolk, und die offizielle Herberge sieht wieder genau so modern und einladend aus wie gestern, einfach ein bisschen kleiner. Es könnte sich also alles wiederholen, drum eile ich daran vorbei. An den Telefonstangen wird eine private Herberge beworben, auf die ziele ich erst mal. Sie liegt am anderen Ende des Dorfes, fast einen Kilometer weiter als die Gemeindeherberge, und sie ist - geschlossen. Wegen Umbau. Wehe den müden Pilgern später Abend, die dann wieder umkehren müssen... Das tue ich mir nicht an sondern entschliesse mich dazu, aus der mittelmässigen Etappe einen gut 30-Kilometermarsch zu machen. Ich sollte es nicht bereuen.



An der an sich netten Gemeindeherberge vorbei...

Die Gemeindeherberge in Pereje, ein Dorf weiter, war auch noch nicht offen, aber ein älterer, leicht säuerlich wirkender Deutscher hatte sich bereits schlau gemacht und in der benachbarten Bar den Schlüssel aufgetrieben. Er war quasi zum hospedalero ernannt worden. Als erstes treffen meine beiden französischen 'Freunde' ein, die Superfranzosen, auf. Sie sind aber gut drauf heute, sehr nett, warten auf eine erstaunlicherweise weibliche Begleitung. Diese ist ziemlich jung, jedenfalls viel zu jung für die beiden Knacker. Keine Ahnung, was die zusammengeführt hat. Die Herberge ist, ganz untypisch für eine Gemeindeherberge, richtig schön, fast ein bisschen alternativ aufgemacht: Holzboden, Natursteinwände, eine riesige Standuhr beim Eingang und Einzelbetten mit weissem Bettzeug verleihen ihr eine Art gehobenes Alpenflair. So wie eine Filmkulisse, in der man gleichzeitig 'Denver Clan' und 'Heidi' drehen könnte.



...auf wenig romantischer Pilgerstrasse...

Das Abendessen findet in der einzigen Bar im Ort statt, ein richtiger Familienbetrieb. Der etwa 12-jährige Stammhalter des Hauses bemüht sich tapfer, uns Deppen das Menü verständlich zu machen, und seine nicht viel ältere Schwester serviert wie ein Wirbelwind. Die Bar ist wie so oft in Spanien innen grösser als aussen, wir haben mehr als genug Platz. Trotzdem setzt sich Trina zu mir, eine geschätzt knapp 1.90 lange Dänin. Warum setzt sie sich nicht zu den Superfranzosen, zwei Tische weiter? Sie ist nämlich die weibliche Begleitung der beiden, oder eher Ex-Begleitung. Die beiden schauen ganz konsterniert zu mir herüber, würden mich wohl am liebsten vergiften. Ich bin aber völlig unschuldig, die Dame hat sich aus freien Stücken und gänzlich ohne meine Aufforderung zu mir gesetzt. Wir sprechen ganz pilgergerecht über die Strapazen des Weges, wie man Verletzungen vermeidet und wie wir Läufer (sie hat auch mal Marathon gemacht) besonders gefährdet sind, uns zu überschätzen. Sie ist übrigens ausnehmend nett, scharfsinnig und von ruhiger Art. Passt also sowieso nicht zu den beiden Mackern. Zu mir aber auch nicht, denn sie überragt mich um fast einen Kopf... und der zweite Nachteil: wir sprechen den ganzen Abend Französisch, ausgerechnet!




...zur umso romantischeren Herberge in Pereje:



Gratis!

Es erscheint übrigens den ganzen Abend über und auch am nächsten Morgen kein Hospedalero, obwohl die Hütte ziemlich voll wird. Das hätte locker 40 Mal 8 Euro ergeben, aber die will niemand. Ich übernachte also tatsächlich gratis.

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