Donnerstag, 1. Oktober 2009

E15 - Carrion de los Condes

Fromista bis Carrion de los Condes (km 374)
21 km, 3 1/2 Std, 7E Herberge, 10E Schirm

Die Wanderung war ja heute nicht besonders Spannend. Ich mache kein einziges Foto untewerwegs. Öde Gegend. Eigentlich alles Getreidefelder, muss wohl die Kornkammer der Gegend sein, aber wenn alles abgemäht ist, sieht das schon ziemlich trist aus. Sogar die nur kniehohen Sonnenblumen, die zwischendurch angepflanzt werden, lassen ihre mickrigen, dürren Köpfe hängen. Ich gebe mir Mühe, mich von dieser depressiven Stimmung nicht anstecken zu lassen.



Kurz vor dem heutigen Ziel.

Beim mindestens vierten Brunzhalt überholt mich ein alter Bekannter: Josef "Jupp" Miller aus Ulm, der Marathoni. Er hat recht, "man sieht sich immer wieder." Das letzte Mal war glaub' ich in Puente la Reine, also vor mehr als 10 Tagen. Ihm sind die sündenteuren Walkingstöcke abhanden gekommen, und er weiss nicht so richtig, ob ihn das nun ärgern oder ob er sich darüber freuen soll. Als geübter Läufer braucht er wie ich eigentlich keine Stöcke zum Wandern, sie sind im Gegenteil eher lästig. Wir amüsieren uns über die vielen Pilger, die zwar erzählen, sie bräuchten die Stöcke, das gebe ihnen Halt, Gleichgewicht, Sicherheit und "entlaste die Gelenke". Wenn wir aber beobachten, dass die meisten Leute die Dinger beim Gehen mehr oder weniger schlapp hinter sich herziehen oder bestenfalls völlig unrhythmisch damit im Staubweg herumstochern, fragen wir uns schon ein bisschen, was das soll. Für richtig schnelles Nordic-Walking eignet sich der Camino aufgrund der Distanz und des Gepäcks nicht. Ich habe meinen Stock vor allem wegen den Hunden gekauft, die mir bis jetzt noch nie begegnet sind. Wenn das Gelände wirklich mal schwierig wurde, war er mir eher im Weg. Und um die Knie- oder Fussgelenke wirksam zu entlasten, müsste ich ja etwa das Gewicht von 10 Kilo bei jedem Schritt mit den Armen abstützen. Das schaffe ich nicht, und selbst wenn, dann hätte ich nach kürzester Zeit Probleme in den Schultern.



Ein Pilgerkollege in Carrion.

Wir fühlen uns zwar mit den heutigen 21km etwas unterfordert, aber nach Carrion kommt 17km lang rein gar nichts. Also haben wir mal wieder etwas ausführlicher Zeit für einen Stadtbummel. Heute ist sogar Markt, und ich nutze die Gelegenheit, endlich meinen Regenschutz aufzurüsten, obwohl es ja schon seit Tagen schönstes Sommerwetter ist. Jupp muss mich für krank halten. Ich finde einen 10E Knirps "mejor calidad", also von hoffentlich besserer Qualität. Schwerer und sperriger ist das Ding ja schon mal, es passt leider nicht mehr in die Fronttaschen meines Bodypacks. Den alten "vergesse" ich in der Herberge, vielleicht ist ja jemand anders froh darum. Und übrigens hat's auf dem Heimweg vom Markt zur Herberge tatsächlich zu regnen begonnen!




Die typischen Pilgershops: Kitsch oder Medizin...

Die Herberge "Espiritu santo" ist zwar schwierig zu finden, "hinter dem centro de salud" ist ein weiter Begriff. Eine alte Dame führt uns aber dahin. Ich schlage sie aufgrund der Empfehlung meines ausgedruckten Paderborner Unterkunftsverzeichnisses vor, und wir werden nicht enttäuscht: erstmals seit Beginn des Caminos müssen wir nicht in Doppel- oder gar Dreistockbetten schlafen, sogar der Schlafsack ist überflüssig, denn es gibt veritable Bettwäsche! Die Duschen sind äusserst grosszügig, neu gemacht, besserer Hotelstandard und sogar nach Geschlechtern getrennt. Letzteres wissen vor allem die Frauen zu schätzen; merkwürdigerweise haben Männer selten ein Problem damit, mit Frauen die Sanitärräume zu teilen... Wie immer gibt's auch hier einen Nachteil: die Türen zum Gang sind mit einem Glasfenster versehen. Auf der anderen Seite des Ganges sind die Toiletten, auch mit einem Milchglasfenster zum Gang. In der Nacht kann ich dann zweimal aufstehen, weil irgendein(e) Trottel(in) das Licht im WC nicht löscht und es darum taghell in meinem Schlafsaal wird...

Ich empfehle die Unterkunft meinen Australischen Freunden Dave und Leslie weiter, die ein paar Stunden später in Carrion eintrudeln, als ich bereits auf dem Stadtbummel bin. Als ich das Paar später wieder sehe, sind sie total begeistert, bedanken sich überschwänglich und Dave meint, für den Tipp hätte ich bei nächster Gelegenheit ein Bier zu Gute. Möglich, dass ich tagsüber etwas schnell unterwegs bin, aber immerhin profitieren auch einige Leute davon: erstens stehe ich niemandem vor der Dusche im Weg und zweitens kann ich dann Insidertipps an die langsameren geben!


Endlich mal wieder ein normales Bett!

Und noch zwei weitere Male erwache ich, und zwar mit einem gehörigen Schock: da beugt sich doch tatsächlich ein Typ im Dunkeln über mein Bett! Ich drücke ihm vor Schreck beinahe die Faust ins Gesicht, kann mich aber beherrschen, zünde ihm mit meinem Minilämpchen ins Gesicht. Er wendet sich wortlos ab, tastet sich in die gegenüberliegende Ecke und will dort ins Bett steigen. Da ist aber auch schon jemand drin. Schliesslich verlässt er das Zimmer. Der hat sich wohl im Zimmer geirrt. Und knapp eine Stunde später kommt er nochmals, das gleiche Schauspiel! Ein Schlafwandler? Das lehrt mich, dass einem nicht die Herberge an sich eine gute oder schlechte Nacht beschert, sondern die Leute, mit denen man dort ist. Und die kann man sich im Gegensatz zur Herberge nicht auswählen. Diese Erfahrung machte ich später noch öfters.


Der ganze Hang rutscht nach und nach ab! (s. linke untere Bildecke)

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