Mittwoch, 30. September 2009

E14 - Fromista

Castrojeritz bis Fromista (km 353)
25km, 5 Std, 7E Herberge, 2.50E Frühstück, 9 E Essen

Heute kommt eine berüchtigte meseta auf uns zu. Alle Pilger sprechen darüber, aber niemand scheint wirklich zu wissen, was das genau ist. Wenn ich den Outdoor - Spanier in Roncesvalles richtig verstanden habe, ist das nur eine Bezeichnung für Hochebenen. Also nicht per se gefährlich oder mühsam. Aber manchmal denke ich, das Marketing muss dem Camino ein paar Schwierigkeiten andichten, damit man als Pilger die wahre Genugtuung nach deren Bewältigung hat. Höllhuber verspricht mir eine schwierige Etappe wegen der "steilen Strecke" am Beginn. Für mich ist das aber eher ein kleines Tempo - Stützchen. Ich bin sogar froh, dass ich mich ein bisschen hineinhängen kann, mal wieder richtig durchatmen. Die Aussicht von der Meseta ist atemberaubend. Ich bleibe stehen, drehe mich um und sehe den schönsten Sonnenaufgang in der schönsten Gegend seit langem. Bis jetzt habe ich ja meine Leser damit verschont, aber es drängt sich doch mal eine Caminoweisheit auf: wer immer nur rennt, vorausschaut, nie stehen bleibt und sich nie umdreht, verpasst unter Umständen einiges!



Umwerfende Aussicht von einer Meseta über weitere Mesetas.

Ich bin richtig happy, geniesse das Wandern auf dieser einfachen Etappe, meist auf Feldwegen, durch allmählich grüner werdende Gegend, bei immer noch prachtvollem Wetter. Gegen Schluss komme ich mir vor wie auf dem Linthdamm unweit von meinem Zuhause. Für mein biologisch ungeschultes Auge sind das sogar die gleichen Bäume wie bei uns, die da das Kanalufer säumen.



Es soll Leute geben, die hier geradeaus laufen...



Heimweh: wie auf dem Linthdamm.

Unterwegs fängt ein Typ mit dem Auto Pilger ab und verteilt Werbeflyer für eine private Herberge. Pilger sind um diese Jahreszeit offenbar nicht mehr von Freiwilligen gütigerweise versorgte Irre, sondern umworbene Kundschaft. Positiv gesehen bedeutet das: es ist definitiv keine Eile mehr nötig, denn die Herbergen sind offenbar nicht mehr ausgelastet, sonst müssten sie ja keine Werbung machen. Das Haus auf dem Flyer sieht gut aus und hält in der Wirklichkeit auch, was die Werbung verspricht. Ich tendiere immer mehr zu den privaten Herbergen; die Leute geben sich da einfach mehr Mühe, wohl vor allem jetzt in der Nachsaison, wenn sie die Hütte nicht so ohne weiteres voll kriegen. Dazu passend ist die spätere Klage von Jupp, dass er in der Gemeindeherberge äusserst unfreundlich behandelt worden sei, das Haus keinerlei Aufenthaltsraum oder gar Garten habe und das Frühstück jeder Beschreibung spotte. Ich hingegen sitze im Schatten bei kühlem Bier, geniesse sogar den Waschtag an der Sonne und das Frühstück wird vom hospedalero höchstpersönlich serviert! Toast, Orangensaft, Kaffee a discretion für 2.5 Euros!

Dienstag, 29. September 2009

E13 - Castrojeritz

Hornillos del Camino bis Castrojeritz (km 328)
21 km, 4 Std, 5E Herberge, 12E Essen plus diverses

Ein wunderschöner Spaziergang durch eine abwechslungsreiche Gegend, mindestens im Vergleich zu gestern. Mir ist wieder mal nach Einsamkeit nach der vielen Gesellschaft gestern Abend. Die beiden Namensvettern John und Sean (das sei die irische Form von John) sind wohl kurz nach mir gestartet; ich höre den Australier hinter mir pausenlos quasseln. Da braucht John wohl die ganze Besonnenheit, die in 60-jähriger Landwirt aufbieten kann, um das auszuhalten. Mir ist der Morgen zu schade dafür, ich gebe etwas Gas, bleibe auf Abstand.



Kurz nach Hornillos.

Die von Büschen gesäumte Staubstrasse führt durch hügelige Landschaften. Einmal bin ich sogar ziemlich überzeugt, Ziger zu riechen. Gibt's hier Zigerklee? Oder stinke ich so? Ein Traktor kommt mir entgegen, er fährt im Feld, wechselt aber 10 Meter vor mir auf die Strasse, so dass ich ins Feld hechten muss! Der hat mich doch gesehen, was soll das?!? Das Wetter ist immer noch brillant; ich lauf meistens nur im T-Shirt. Die Herberge macht normalerweise erst um 13:30 auf, aber heute erscheint der hospedalero schon um 12 Uhr und lässt uns rein. Bin ausnahmsweise nicht der Erste: ein jüngerer Mann hülpt mit schrecklich einbandagierten Füssen bereits in der Herberge herum. Wie kann der vor mir angekommen sein mit diesen Füssen? Bei dem lösen sich tatsächlich die untersten 1 bis 2 Zentimeter Fusssohle ab, wie bei einem alten Schuh! So etwas habe ich noch nie gesehen, mich schüttelt's vom Anblick. Der arme ist schon gestern angekommen und darf einen Tag in der Herberge bleiben. Das ist normalerweise nicht möglich; die Pilger werden am Morgen weggejagt, ausser bei höherer Gewalt (Wetter) oder bei schweren gesundheitlichen Problemen. Und solche hat der Mann ganz offensichtlich!



Das in solchen "Dörfern" Leute wohnen?

Wir Pilger sind ja schon nicht immer die saubersten, aber den Schlafsaal zuerst mit Räucherstäbchen zu desinfizieren finde ich dich ein bisschen übertrieben. Es fällt mir wieder mal auf, wie viel die Spanier reden. Liegt wohl auch an der Sprache selbst. Die brauchen für alles viel mehr Silben. Das zweisilbige "Frühstück" oder  "breakfast" wird zum viersilbigen "de-sa-yu-no". Ein so simples Wort ist also schon mal doppelt so lang wie in anständigen Sprachen. Ich halte mich an die Englischsprachige Pilgerschaft. Die beiden Hans (John und Sean) sind nämlich unterdessen eingetroffen und winken mich vor einem Restaurant an den Tisch. Sean staunt, dass meine Muttersprache nicht Englisch ist, man höre gar keinen Akzent. Gemäss John ist ein solches Kompliment von einem Australier mit Vorsicht zu geniessen, weil die ja seiner Meinung nach schon grad gar nicht Englisch können... Dave, ein weiterer Australier, findet mich "a very dangereous man", also sehr gefährlich, als ich ihm erzähle, dass ich von Programmiere auf Lehrer wechseln wolle. Er will sofort mit meiner Frau telefonieren; weil die um diese Zeit aber in der Schule ist, verspricht er mir, dass später nachzuholen, wenn wir uns wieder sehen. Sean staunt wieder, wie wenn ich gerade aus einem Raumschiff gestiegen wäre. Die Runde wird dann noch durch ein paar Deutsche erweitert, so dass mein Bedarf nach Gesellschaft nach etwa zwei Stunden Aperitiv gedeckt ist. Ich verzichte heute auf das Pilgermenu, kaufe mir etwas Brot und eine chorizzo (Paprikawurst) und haue mich damit auf eine Parkbank.



Langatmiger Anmarsch auf Castrojeritz mit der Burg im Hintergrund.

Der Typ mit den kaputten Füssen läuft jetzt in einer Mönchskutte herum Er hat Support von oben und leidet trotzdem. Mein Draht zum Himmel ist nicht so gut, trotzdem leide ich nicht. In letzter Zeit kommen mir Zweifel, ob ich hier wirklich am richtigen Ort bin. Tagebuch scheinen ausser mir nur Frauen zu führen, ich bin der einzige, der in Trainerhosen herumläuft, ich jammere nicht, ich rede nicht gern über Kilometer. Bin ich hier falsch?

Montag, 28. September 2009

E12 - Hornillos d.C.

Burogs bis Hornillos del Camino (km 307)
20km, 4 Std, 5E Herberge, 12E Essen, 3E Bier

Heute mal etwas ganz Neues: Wecken per Gong und Lautsprecherdurchsage! So oder ähnlich habe ich das mal in einem Gefängnisfilm gesehen! Ich habe mich an einen kleinen Energiekick am Morgen gewöhnt, und drum befreie ich heute einen Schokolade-Croissant aus einem Automaten und ersäufe ihn mit einem café con leche. Um 7.45 Uhr ist es eigentlich immer noch zu dunkel, aber ich habe gestern schon den Weiterweg recherchiert, und es sind schon viele Pilger unterwegs. Einer wird wohl den Weg aus der Stadt finden; Burgos ist auch am westlichen Ende nicht besser beschildert als am Eingang gestern. Das hat immerhin den Vorteil, dass ich nicht zu schnell losdüse. Gemäss Buch eine "einsame Strecke", aber so viel 'Verkehr' wie heute habe ich noch nie gehabt.



Neben, über und sogar unter der Autobahn geht heute der Weg.

Nach Hornillos kommt lange nichts mehr, d.h. nach weiteren 6km hätte es zwar eine Herberge, aber ohne Toilette. Also nichts für mich. Das stille Örtchen ist für mich das wichtigste Equipment. Nur wenn ich morgens richtig leergekackt bin, fühle ich mich wohl und kann beruhigt starten.  Dazu brauche ich mindestens drei Sitzungen; lieber verzichte ich auf Kaffee oder Gipfel. Ich bleibe also hier, nur schon dem Namen zu liebe. "Hornillos" tönt doch wie die Bläsersection einer Rock'n'Roll-Band! A propos Blasen: ich bin nicht sicher, ob ich hinten rechts nicht doch eine Blase eingefangen habe. Es ist eher eine Verhärtung, stört nicht, nur bin ich immer noch übervorsichtig und habe Angst, dass daraus etwas werden könnte, z.B. ein Infektion.


Mal eben den Überblick verschaffen...


Die Herberge ist mal wieder ein Hit. Sehr sauber, die Duschen grosszügig, die Schlafräume eher eng. Und ich finde es immer hübsch, wenn ein Getränkeautomat für nur einen Euro ein Büchse gekühltes Bier ausspuckt. Heute gibt's sogar ein ADLERBRAU! Leider nicht das "Adlerbräu" aus dem Glarnerland, aber mit fast gleichem Namen aus Deutschland. Eine Stunde nach Einlass sind schon ca. zwei Duzend Rentner hier, alles Franzosen! Das wird wohl wieder laut heute Abend... Einmal mehr bietet das Kaff nichts ausser der Herberge, der Bar und dem Gotteshaus. Ich wiederhole mich, ich weiss. Ich habe mich langsam daran gewöhnt, die Nachmittage nur mit mir zu verbringen, den Gedanken nachzuhängen, ohne Zerstreuung, kein Kino, keine Zeitung, kein Fernseher. Andere haben mehr Mühe: John aus den USA murmelt resigniert, dass er sich wohl auf einen weiteren "boring afternoon" einstellen muss. Tatsächlich verbringen viele Pilger die Nachmittage schlafend. Das ist mir dann doch zu schade; irgend etwas sieht oder irgend jemanden trifft man immer. Heute spreche ich in der kleinen Bar mit dem vorhin erwähnten John. Er ist mit Sean aus Australien unterwegs. Ein ungleiches Duo: John, 60, ist ruhig, besonnen, abgeklärt. Sean, 47, hingegen kommt mir vor wie ein Kind: er staunt ab jedem Satz, den ich sage, findet alles "great", "smart", "clever" oder mindestens "a good point, Rudolf!". Am Nebentisch verbindet eine verschwitzte, abgekämpfte Dame ungeniert die Fersen. Sie ist die Jüngste in der Runde, aber am schlechtesten dran.



Das ist doch mal ein cooler Name!


Zur Herberge geht's zwischen den Säulen nach rechts.

Auch die kleinste Bar hat ziemlich sicher einen Speisesaal, einen comedor, im hinteren Teil des Hauses. Der heutige ist so klein, dass die Pilger in Schichten essen müssen. Ein mürrisch wirkender Deutscher wedelt mit seinem anderthalb Meter langen credencial (Pilgerpass) herum. Er ist wohl angemacht worden und muss die Pilgerhackordnung wieder herstellen. Bei den Deutschen scheint eine Art Hierarchie zu bestehen, die sich auf die Anzahl zurückgelegter Kilometer stützt?!? John und ich warten auf Sean, aber es könnte gut sein, dass ihm eingefallen ist, er könnte Postkarten schreiben und so das Nachtessen vergisst. Der ist wirklich ein Knaller. Pennt mit einer Augenbinde.

Sonntag, 27. September 2009

E11 - Burgos

San Juan de Ortega bis Burgos (km 287)
25km, 5 1/4 Std, 3E Herberge, 30E (!) Essen

Da mir Britta netterweise ihren Wein überlassen hat, schlafe ich so gut wie schon lange nicht mehr - bis 6.45 Uhr! Ich erwache nur kurz, als die arme ihre Matratze kurzerhand auf den Boden schmeisst und dort weiter schläft, weil die Betten für sie mal wieder zu kurz sind. Gross zu sein hat nicht nur Vorteile... Leider ist sie am Morgen schon auf und davon. Ich hatte eigentlich auf ihre Unterstützung bei der Suche nach dem Weg im Dunkeln gehofft. Macht mir nämlich inzwischen Horror, denn es ist täglich länger dunkel. Zwei Donuts aus dem Automaten zum Frühstück sind ein weiteres kulinarisches Highlight an diesem Ort, den ich um 7.45 erleichtert verlasse.



Ausserirdische?

Die lange Etappe von gestern steckt mir doch noch in den Knochen (oder ist's der Wein?): ich gehe ziemlich unrund und bin nicht sicher, ob ich am rechten Fuss auf der Aussenseite eine Blase habe. Fühlt sich so an, kann an dieser Stelle aber eigentlich nicht sein. Oder schmerzt gar das Fussgelenk? Das zwickt doch manchmal auch und dann wieder nicht? Ich habe die zweite Stufe des Pilgerbewusstseins erlangt: in der ersten ist der Kopf voll damit ausgelastet, die neue Situation zu meistern; dass man jede Nacht an einem anderen Ort schläft, wie man wäscht, welche Betten die besten sind, wo's was zu Essen gibt, wie man den Rucksack packt und so weiter. Nach 10 Etappen haben sich diese äusseren Dinge eingespielt, so dass Hirnkapazität frei wird für mich selber, mich selbst zu spüren, wenn auch erst körperlich, aber immerhin. Wenn auch diese Stufe durchbrochen ist, so stelle ich es mir jedenfalls vor, werde ich bereit sein für die grossen Erkenntnisse, für Erleuchtungen und  Begegnungen. Aber soweit bin ich noch nicht. Momentan habe ich einfach mal wieder (oder immer noch) Hunger.



Endlich mal wieder etwas Zivilisation...

Burgos wird mir Kultur en Masse bieten, aber ich gebe zu, am meisten freut mich, dass es dort sicher genug Restaurants hat. Zur Herberge muss ich mich durchsuchen; in den Städten ist die Führung mit gelben Pfeilen nicht immer gewährleistet. Heute hört sie zum Beispiel an einem im Bau befindlichen Kreisel auf. Ich frage ein Gruppe Einheimischer und erhalte drei verschiedene Himmelsrichtungen zur Auswahl. Also mal wieder nach Gefühl: die breiteste Strasse nehmen, die nach Westen geht. Irgendwann nimmt die Rucksackdichte wieder zu und ich der Weg stimmt wieder. Ich treffe auch die 52-jährige Dame wieder, die (zu Fuss!) in Amsterdam gestartet ist. Sie sieht ein kleines bisschen verwildert aus, raucht wie ein Kamin und ist immer guter Laune. Sie hat mir in der Holländerherberge vor sechs Tagen mein hohes Marschtempo angekreidet. Wieso glauben alle zu wissen, welches Tempo für mich gut ist? Sie hat damals gesagt, ich solle ein Tag mit ihr marschieren, um einen vernünftigen Schritt zu lernen, aber ich habe sie seither nie mehr gesehen. Und jetzt ist sie am gleichen Ort wie ich. Ich sage ihr, im Scherz natürlich, dass sie wohl keine gute Langsamlehrerin sei, schliesslich sei sie gleich schnell wie ich unterwegs. Und heute überholt sie mich definitiv, denn ich bleibe in Burgos, sie geht weiter. Bis nach Finisterra übrigens, dort will sie per Anhalter auf einem Boot zurück nach Holland. Verrücktes Huhn.



Schlafkojen in der Gemeindeherberge von Burogs

Die Staatsherberge ist ein richtiger Fliessbandbetrieb, aber modern, grosszügig, sauber. Die Schlafsäle sind über mehrere Etagen verteilt und in Viererboxen aufgeteilt. Zudem bietetn sie für jedes Bett ein Schliessfach. Das Ganze für Schlappe 3 Euro. Von weitem höre ich schon wieder den gleichen Kerl wie gestern, der jedem ungefragt in einem komischen Dialekt erzählt, dass er heute schon "zeeeeehn Kilomeeeter geloffen" ist und schon Eiterblasen aufgestochen habe und sein Marschkollege glücklicherweise "abboteeeker" ist und überhaupt: "Mein Arbeeetskoleeeesche tätet des niiii dengge dass iich vierhundert Kilomeeeeder laufe tät". Nein, nicht schon wieder! Das interessiert hier keine Sau!



Der "Pilgereingang" der Kathedrale von Burgos

Der Hunger treibt mich in die Stadt. Ich werfe ein Döner-Menu mit einer Portion Pommes inklusive Bier in mich hinein, nur um an der nächsten Ecke noch eine Pizza mit Zutaten und nochmals zwei Bier zu verdrücken. Natürlich taucht genau da die Britta auf, diesmal mit ihren zwei Kolleginnen, die per Bus angekommen sind. Die müssen einen schönen Eindruck von mir haben, sehen mich eigentlich nur immer beim Bier... Britta kreischt von Weitem "Ich glaub's nicht, der kleine Schweizer!!!" durch die Strasse. Wir können uns also doch noch verabschieden, die Mädels gehen morgen heim. Ordentlich gestärkt bin ich doch noch bereit für Kultur und besichtige ausgiebig die Kathedrale von Burgos. Man verkauft mir ein vergünstigtes Pilgerticket, ohne dass ich den Pilgerpass zeigen muss. Ein Erfolgserlebnis: der Bart zeigt langsam Wirkung!


Ein Besuch wert: die Kathedrale von Burgos.

Samstag, 26. September 2009

E10 - San Juan de Ortega

Recedilla del Camino bis San Juan de Ortega (km 262)
37km, 7 1/4 Std, 7E Herberge, 5E Essen

Nach Winfrieds Kaffee und einem weiteren guten Spruch von ihm in den Ohren ("Warum die Eile? Ich bin ja hier nicht auf der Flucht!") startet sich's heute recht beschwingt. Ist auch nötig, denn die Gegend ist wieder einmal alles andere als abwechslungsreich, eher karg, nur Stoppelfelder. Diese dürren Halme sind so hart, dass man auch mit hohen Schuhen kaum darüber laufen kann, und Winfried sagt, er könne da nicht mal sein Zelt montieren. Passend zur Eintönigkeit verliere ich langsam das Gefühl für die Wochentage. Wenn die Uhr, die mir Matthias mitgegeben hat, diese nicht anzeigen würde, hätte ich keine Ahnung, welcher Tag gerade ist, ausser wenn ich wie heute mich wieder einmal wundere, wieso die Läden zu sind...



Sogar die Dörfer sind karg, aber Hauptsache der Weg ist gut beschildert...

Villafranca wäre für heute das Ziel gewesen. immerhin eine 25 km Etappe. Ich bin aber wieder mal früh dran und blättere ein bisschen im Höllhuber. Da steht, dass das Stück nach Villafranca bzw. vor San Juan de Ortega bei Nebel und Nässe gefährlich sei, ja es sei bei solchen Verhältnissen dringend von der Etappe abzuraten! Hm, das Wetter ist tatsächlich nicht mehr so brillant, es nieselt und ist dunstig geworden. Es könnte gut sein, dass es morgen richtig regnet und neblig ist. Was mach ich dann? Ich kann ja nicht einfach einen Abschnitt auslassen? Also wieder mal einen Entschluss fassen, umdisponieren: ich hänge die 12km noch an, obwohl ich noch nicht mal etwas gegessen habe, und werde somit heute gut 37km zurücklegen! In Erwartung der angedrohten Gefahren gönne ich mir, quasi als Henkersmahlzeit, an einer Tankstelle wenigstens ein bocadillo. Der Tankwart meint es gut mit mir, er kocht das Brötchen in der Mikrowelle solange, bis der ganze schöne feine Käse heraus schmilzt.



Das "gefährliche" Stück nach Villafranca beginnt ganz freundlich...

Ich wundere mich ein bisschen, was an dem Hügel so gefährlich sein soll. Es geht zwar auf über 1100 Meter hinauf, aber der Weg ist relativ eben und breit, sehr breit, stellenweise eine 20 Meter breite Schneise quer durch den Wald, und er ist weiterhin gut beschriftet. Bei Nässe ist das wohl tiefer Boden, und eventuell wurde die übersichtliche Schneise erst nach Herrn Höllhubers Besuch angelegt. Ich komme jedenfalls sehr gut voran und freue mich richtig, eine weitere Prüfung des Caminos so elegant hinter mich gebracht zu haben. Ich überhole eine Gruppe von Frauen, die offensichtlich alle ziemlich leiden. Einige bewegen sich nicht mehr, scheinen am Ende, und zu allem Übel hat mittlerweile die Sonne wieder eingesetzt und heizt tüchtig ein. Eine Dame fragt mich, warum ich mich so beeile, und ich antworte mehr im Scherz: "Ich will eben ankommen, bevor ich müde bin!". Das finden offenbar nicht alle lustig, ich flüchte lieber... Auf den letzten 5km komme ich in einen kleinen Rausch, ich fliege richtig dem Ziel zu. Ich merke zuerst gar nicht, dass sich eine ältere Holländerin an mich geheftet hat und konstant etwa 10 Meter hinter mir bleibt. Die Dame fällt mir am Ziel buchstäblich um den Hals und bedankt sich überschwänglich dafür, dass ich sie ins Ziel gezogen habe. Sie sei eine aus dieser Frauengruppe und fast am Ende gewesen. Sie habe sich aber meinen Spruch nochmals genau überlegt und gefunden: "Stimmt eigentlich! Ich muss weiter, solange es noch einigermassen geht!". Darum habe sie sich mir angehängt.



...auch das "unbedingt zu vermeidende" letzte Teilstück.

Die Herberge selbst ist wieder so eine typische Klosterherberge, aber bei weitem nicht so schlimm wie im Führer beschrieben: viel Platz in den beiden Schlafsälen, die Sanitäreinrichtungen sind nicht katastrophal, sondern sauber, aber wie immer ein bisschen unterdotiert, und es gibt sogar einen kleinen, sonnendurchfluteten Innenhof. Nach einem Bier aus dem Automaten, der obligatorischen Dusche und Wäsche (manchmal mache ich das auch zusammen: ich lasse die Unterwäsche beim Duschen einfach an und spare mir somit den Gang zu den Waschbecken) fällt der Dorfrundgang diesmal sehr kurz aus: es gibt nämlich kein Dorf. Nur das Kloster, eine winzige, überfüllte Bar nebenan und eine Handvoll Häuser, kein Laden, kein Kiosk, einfach nichts. Zum Glück taucht Britta auf, die grosse, gleichzeitig rustikal und elegant wirkende Grosse von der Dreiergruppe der deutschen Mädels, aber sie ist alleine. Die anderen beiden seien verletzt und mit dem Bus nach Burgos gefahren, dem Ende ihrer Pilgerreise. Britta hat wie ich einen eher trockenen Humor :-) und ist immer hungrig.

Mit ihr sollte also sowohl für unterhaltsame Gesellschaft als auch für Verpflegung gesorgt sein. Nach der langen Etappe mit nur einem bocadillo im Magen bin ich nämlich ausgehungert. Die Herbergsbetreiber wissen, dass es fast allen so geht, und so haben sie eine perfide Erpressertaktik erfunden: in der Bar nebenan gibt's aus unerfindlichen Gründen bis halb neun nichts Essbares, in der Herberge gibts gratis Knoblauchsuppe à discretion, aber nur, und jetzt kommt's: nur wenn man vorher an der Messe teilnimmt! Auch eine Art, die Kirche zu füllen! Die Messe beruhigt den Geist, die Suppe aber nicht den Magen, und so machen sich Britta und ich auf die Suche. Irgendetwas ausser den bocadillos in anderthalb Stunden muss es doch hier noch geben! Die Dame hat in Madrid Tiermedizin studiert (warum wundert mich das nicht?), ist somit des Spanisch mächtig und kann uns zu einem Haus durchfragen, das von aussen überhaupt nicht als Restaurant erkennbar ist. Muss wohl so eine Art Privatclub sein, der Blick durchs Fenster verrät feines Interieur, weisse Tischtücher; sieht gar nicht aus, als ob die auf Pilger in Trainerhosen warten. Wir getrauen uns erst nicht, einzutreten. Aber der Hunger scheucht unsere Bedenken weg. Und welche Überraschung: wir sind überhaupt nicht underdressed, im Speisesaal sitzen nämlich nur Pilger (woher sollten in dem 5-Häuser-Kaff auch andere Leute her kommen?), lauter bekannte Gesichter, die das Etablissement einfach schneller gefunden haben:-) Der Barkeeper, der Messdiener und der Kellner hier sind alles ein und dieselbe Person! Das nährt den Verdacht, dass das alles arrangiert ist! Bocadillos gibt's keine, damit man Suppe braucht und drum in die Messe geht. Die Suppe gibt's ohne Brot, damit man nachher doch noch Hunger hat und ein Restaurant sucht. Schön und gut, aber warum das Versteckspiel? A propos nährt: die Menuauswahl ist so beschränkt, ich esse sogar freiwillig Blutwurst, weil das der Teller mit den meisten Kalorien ist...

Freitag, 25. September 2009

E9 - Recedilla d.C.

Azofra bis Recedilla del Camino (km 225)
26km, 5 Std, 5E Herberge plus 10E Essen (Spende)

Das Rasieren gebe ich erst mal auf. Das gibt mir hoffentlich ein bisschen mehr "Pilger-Look". Ich leide sonst schon zuwenig, passe irgendwie nicht in das Bild der humpelnden und einbandagierten Gestalten. Dank meinem Body-Pack fehlt mir auch die typische, leicht vorgebeugte, demütige Haltung des Pilgers. Aber die soll ja eh' von innen kommen :-) Die Luxusherberge von Azofra wurde dann am Abend doch noch recht laut, es ging hoch her wie in einem Ferienlager. Alkohol, Spiele, Geschrei, einige feierten ihre ersten absolvierten 200km. Irgendwie wird mir in all dem Trubel unwohl. Ich bin in eine Welle Deutscher (sind nur laut im Rudel) und Spanier (sind immer laut) geraten, muss mir überlegen, wie ich da wieder raus komme.

Heute Morgen gehe ich zur Sicherheit mit der Östrerreicherin los, um mich nicht wieder im Halbdunkel zu verlaufen. Die Dame ist recht rüstig und ziemlich konsequent: sie reisst die Seiten mit den bereits absolvierten Etappen aus ihrem Wnderführer (sie hat auch den Höllhuber...), um Gewicht zu sparen! Das Wetter ist immer noch trocken, fast alles Asphalt- und Staubstrassen. ich kann den ganzen Tag in den ausrangierten Laufschuhen absolvieren; mein kleiner Zeh rechts ist dankbar. Bis Santo Domingo laufe ich durch wirklich einsame, ausgedörrte Gegenden, und vermutlich darum ist mir die Stadt selber dann zu hektisch. Ich werfe nur einen kurzen Blick in die Kirche mit dem Hahn, der dort eingesperrt ist und dessen Krähen einem gutes Gelingen der Pilgerfahrt beschehren soll. Da es mir sowieso gut geht, muss ich darauf nicht warten und flüchte aus der Stadt. Auch die schlechte Beschilderung hält mich nicht auf.



Auf solchen Etappen kann man schon ins Grübeln kommen: wo führt mein Weg mich hin?

In Recedilla del Camino (auch wieder so ein Name, den ich am nächsten Tag nicht mehr weiss...) beschliesse ich zu übernachten. Ich bin ja immer noch neben dem Höllhuber-Etappen-Korsett und geniesse ein bisschen diese 'Freiheit'. in der Herberge bin ich mal wieder der erste. Eine Premiere: die Übernachtung ist "gratis", es wird eine Spende erwartet. Ich schmeisse 5 Euros in einen Schlitz an der Wand. Es hat sogar Duschmittel, etwas, was ich langsam vermisst habe. Körperpflege immer nur mit dem Seifenklotz ist doch nicht das Wahre :-) Duschmittel schleppe ich übrigens deshalb nicht mit, weil da zuviel Wasser (=Gewicht) drin ist und weil es eine ziemliche Sauerei gibt, wenn das im Rucksack ausläuft. Mit einem Seifenblock passiert das nicht. Ich nehme mir heute sogar Zeit, die Augenbrauen zu schneiden! Anschliessend ertappe ich mich dabei, wie ich auf dem altersschwachen Internet-PC bereits Schaue, wann dann Busse für den Heimweg fahren würden. Spinne ich eigentlich? Das ist doch frühestens in einem Monat!?!



...nur um dann hinter dem Hügel festzustellen, dass es da genau gleich weiter geht...

Die Nachmittage können lang sein. Das hier ist ein auf der Landkarte eingezeichnetes Dorf. Es hat eine Strasse, eine Herberge mit Bar, eine wunderschöne Kirche mit Holzboden  und sonst: nichts, gar nichts. Ah doch, den obligatorischen Dorfplatz, wo ich mich für eine ganze Stunde auf eine Bank setze und auf Pilger warte. Es kommen aber keine. Ich begreif's nicht, wo bleiben die alle? Ich sehe nur eine halbverhungerte Katze, die versucht, auf einen Baum zu klettern und eine mindestens zweihundert Jahre alte Frau, die sich jetzt dann gleich die Eingeweide aus dem Leib hustet. Wer von den beiden stirbt wohl zuerst?



Bonjour Tristesse...

Der Pilger mit dem Handwagen ist gekommen, den ich beim Weinbrunnen schon einmal gesehen habe. Ich sehe zuerst nur seinen Wagen, versuche mich an die ersten, holprigen Etappen zu erinnern und frage mich, ob er die Karre überall durchzieht oder ob er Etappen abändern muss. In der total verdreckten, kleinen Bar der Herberge treffe ich ihn dann. Wir lästern ein bisschen über den in Spanien  in den Bars üblichen Dreck am Boden. Auch das Personal wirft die Nusschalen achtlos auf den Boden. Der Boden einer Bar scheint irgendwie zum Aussenbereich zu zählen, den man nur einmal täglich mit dem Besen kurz freipflügt. Jetzt weiss ich auch, warum die Bardame in Larrasaonia kein Problem mit meinen verschlammten Schuhen hatte...



Die Herberge in Recedille del Camino kann leicht übersehen werden.

Winfried heisst der Mann mit dem Wagen und er ist mein Vorbild: in dem Wagen hat er ein Zelt, und normalerweise übernachtet er damit im Freien, vorzugsweise in der Nähe eines Baches, zwecks Körperpflege. Nur so alle zwei Wochen, wenn es ihn anfängt zu jucken oder wenn er wieder mal etwas Konversation braucht, sucht er eine Herberge auf. Er ist also von einem Höllhuber-Etappen-Zwang unabhängig! Das Zelten sei übrigens kein Problem, solange man keinen Lärm mache, am nächsten Tag früh aufbreche und nichts zurück lasse. Er habe jedenfalls noch keinen Kontakt mit den Gesetzeshütern gehabt, und er habe doch schon tausende von Kilometern in ganz Europa und auch Spanien zurückgelegt. Er ist nämlich mindestens drei Monate im Jahr unterwegs. Er stammt aus der Ex-DDR, gibt einige Geschichten abseits der üblichen Ost-West-Klischees zum besten und erklärt mir, dass Campen damals so etwas wie die kleine Freiheit, die kleine Flucht vor dem allgegenwärtigen Staat war. Er ist definitiv mein Held. Ich bezahle ihm ein paar Bierchen, er revanchiert sich mit Kaffee am nächsten Morgen. Ach ja, er zieht den Wagen die ganze Zeit, über alle Hügel. Ich werde ihn vermissen.

Donnerstag, 24. September 2009

E8 - Azofra

Navarrete bis Azofra (km 199)
28 km (davon 4 km verlaufen...) , 5 Std, 6E Herberge, 10E Essen, 3 E Bier

Heute starte ich denkbar schlecht: ich kann mal wieder nicht richtig schlafen und es hält mich nichts in der Herberge. Es geht hier aber spürbar täglich länger, bis es hell wird, ich sollte vielleicht etwas länger mit dem Aufbruch warten. Jedenfalls bin ich ausgangs Navarrete nach dem Firedhof halb links weg, wie das auch der Höllhuber beschreibt. Soweit ich das im Dunkeln erkennen kann, wandere ich durch Weinberge, vorbei an Höfen, werde von unsichtbaren Hunden angebellt und vor allem sehe ich gefühlte dreiviertel Stunden keinen Pfeil mehr, und es haben doch schon etliche Pfade meinen Weg gekreuzt. Die goldenen Regel lautet: wenn du eine halbe Stunde keinen Pfeil mehr siehst: zurück zum letzten Pfeil! Zähneknirschend kehre ich um. Es sind dann doch nur gut 20 Minuten, aber bei meinem Tempo wären das 2 Kilometer. Präzise beim oben beschriebenen Friedhof, wo ich den letzten Pfeil noch sah, kommt mir Peter's Österreicherin entgegen, mit weit ausholenden Schritten. Ich sage ihr kleinlaut, dass wohl auf dem falschen Weg war, aber sie trompetet ganz fröhlich in die Morgenfinsternis: "Doch doch, des passt schon!". Na super. Also doch wieder durch die Weinberge, die jetzt bei einsetzender Helligkeit eindeutiger als solche zu erkennen sind. Ich beschliesse aber, bei ihr zu bleiben, bis ich des Weges wieder ganz sicher bin. Ich bin also etwa 4 Kilometer vergebens gelaufen. Aber was sind schon 4 Kilometer auf deren 800? Ein halbes Prozent, mehr nicht. Die Österreichern muss mal für kleine Mädchen; die Gelegenheit für mich, um abzuhauen.



Bei Licht seh' ich die Tafel auch...


Kurz vor Azofra: oft ist der Weg eher ...hm... unattraktiv?

Heute sind auffallend viele Spanier unterwegs. Ich sehe das denen nicht an, dass sie Spanier sind, aber man hört's, und zwar von Weitem. Die haben andauernd etwas zu besprechen, und das tun sie immer laut. Wozu haben die Handys? Die schreien ja eh' so laut, dass man sie im ganzen Land hört! Die meisten sind alt, kurz- und krummbeinig. Hat irgendwo eine residencia (Altersheim) Ausgang erlaubt? Ich weiss nicht, ob mich das andauernde Gerede ablenkt, jedenfalls gestaltet sich die Wegsuche heute mühsamer als sonst. Die Pfeile sind manchmal kaum zu erkennen und deren Richtung ist nicht immer eindeutig. Ich bin aber trotzdem bereits vor 11 Uhr in Najera, welches heute gemäss Höllhuber das Etappenziel gewesen wäre. Das ist mir jetzt doch etwas zu früh. Ich werde zum Rebell, ich weiche heute vom Etappenplan ab, und zwar nach vorne. Mich beschleicht, ganz kurz nur, ein mulmiges Gefühl: wenn ich das morgen nur nicht bereue! Aber so richtig ernst ist mir mit der Reue nicht, ich fühle mich gut, und ich denke, dass es schon an der Zeit ist, mal die Handbremse etwas zu lockern. Mut fliesst durch meine Adern :-) Das war's dann aber auch schon, denn in Azofra, 7km weiter, wollen mich drei fesche Mädels zum Weiterlaufen überreden. Aber die nächste Herberge sei zu, da müsse man schon bis St. Domingo durch. Für mich wären das dann über 40 km. Schweren Herzens bringe ich den netten jungen Damen bei, dass sie ohne mich auskommen müssen.




Luxusherberge mit Zweierzimmern und Gartenoase in Azofra

Als Trost wartet eine Herberge mit wunderbarem Garten inklusive Pool auf mich, und das Beste: die Herberge hat alles Zweierzimmer! Da sinkt schon mal die Chance, einen Schnarchweltmeister im gleichen Zimmer zu haben, aber bei meinem Glück... Ich beschliesse, dass ich in diesem Falle freiwillig draussen im Garten übernachten würde. Eventuell bleibe ich ja sogar alleine, oder es kommt eine heiratswütige Brasilianerin... Draussen laufen viele zufrieden grinsende Pilger herum, alle suchen tiefschürfende Gespräche nach dem Motto "das ist eben MEIN Camino". Manchmal kann ich es nicht mehr hören. Nein, ich habe keine interessante Geschichte zu erzählen, tut mir leid, liebe Mitpilger. Ansonsten geneisse ich das Abhängen im Garten beim Pool unter Olivenbäumen, ist wie Sommerferien. Mittlerweile gibt nämlich der Sommer in Nordspanien ein Comeback; nach Mittag kann's ganz schön heiss werden. Schon wieder ein Grund, das tägliche Laufpensum möglichst früh hinter sich zu bringen. Am rechten Fuss meckert der kleine Zeh ganz rechts aussen, aber nur wenn ich die Wanderschuhe anhabe. Ich überlege mir drum, ob ich Morgen nicht mal eine Etappe ganz in den Turnschuhen laufen kann. Momentan sind die Wege eben, viel Asphalt, viele Kieswege.


Mein Pilgerpass, noch recht jungfräulich...

Mittwoch, 23. September 2009

E7 - Navarrete

Viana bis Navarrete (km 171)
23km, 4.5 Std, 5E Herberge, 10E Pilgermenu, 4.50 Bier:-)

Habe mal wieder eine wie mir scheint schlaflose Nacht verbracht. In diesen riesigen, gut gefüllten Schlafsälen der offiziellen Herbergen scheint jede Nacht ein Wettbewerb "Spanien sucht den Superschnarcher" statt zu finden, oder mindestens die Vorausscheidung dazu. Der Typ schräg gegenüber sollte es locker in den Final schaffen. Es zeigt sich immer mehr, dass nicht das Gehen die Herausforderung für mich ist, sondern die Zeit dazwischen. Der Schlafentzug macht mich müde, das Marschieren ist die Erholungsphase zwischen zwei Nächten. Aber das wird sich auch noch einpegeln, spätestens wenn ich mich an die Ohrenstöpsel gewöhnt habe. Ich trage sie noch selten, weil die so gut sind, dass mein eigenes Blut wie ein Felsbach durch meine Gehörgänge rauscht und ich drum nicht schlafen kann.



Kunst findet in Spanien buchstäblich an jeder Ecke statt.

Peter ist wieder bei mir, dazu eine proppere Bayerin; die beiden sind auch vor dem Kampfschnarcher geflüchtet schon seit 7 Uhr auf der Suche nach gelben Pfeilen. Es ist um die Zeit immer noch dunkel, und Gelb sieht man dann einfach nicht so gut, auch mit Taschenlampe nicht. Aber sechs Augen sehen mehr. Kurz nach 9 Uhr passieren wir den Stand von Dona Maria, eine feste Gösse auf dem Camino, an der man gemäss Wanderfibel nicht achtlos vorbeigehen sollte. Die Dame ist aber schlecht drauf und will uns nur einen Stempel in den Pass drücken, gegen Entgelt natürlich. Wir kriegen jeden Abend einen Stempel in den Pass, also leuchtet uns eigentlich nicht ein, was das hier soll. Unsere offensichtliche Ignoranz hebt ihre Laune auch nicht und wir flüchten, ohne genau wissen zu wollen, was sie uns hinterher ruft...


Der Eingang zur Herberge ist unter den Lauben etwas versteckt.

Ab 10 Uhr bin ich dann alleine: Peter eilt voraus, das Bayernmädel will Pause machen. Einen Moment lang grüble ich darüber nach, was an mir wohl heute nicht gut sei, ob ich wohl stinke oder so, aber ich merke bald wieder, dass ich alleine lockerer laufe. Die Etappe kam mir heute sehr kurz vor, kürzer als die 23km. Um halb 12 bin ich bereits in Navarrete, dem im Buch vorgeschlagenen Etappenort. Ich halte mich übrigens immer noch an den Höllhuber, bis jetzt hat sich dessen Aufteilung bewährt. Morgen könnte ich das erste Mal ausbrechen, da will er nämlich nur 16 km von mir. Das dünkt mich dann doch ein bisschen wenig, obwohl ich immer noch versuche den "Ball flach zu halten", dass heisst, ich widerstehe der Versuchung, weiter zu gehen, auch wenn ich wie heute früh vor einer noch verschlossenen Herberge stehe. Diese Zeit lässt sich nämlich heute trefflich unter dem Sonnenschirm bei zwei, drei Bierchen überbrücken. Dort haben sich zwei Freaks aus Finnland niedergelassen, die aussehen wie Clochards. Aber das Äussere täuscht, die beiden entpuppen sich als ausgesprochen gebildete, tolerante und eloquente Gesprächspartner. Im Gegensatz zu einem mittelalterlichen (ich schreibe das absichtlich so) Ehepaar, dass einen Tisch weiter entfernt sich in unsere Plauderei einmischt und alles besser weiss. Meine Aussage, dass ich auf dem Camino bisher gut ohne Spanisch ausgekommen sei, findet die Dame voll daneben. Wenn man schon in ein Land komme und Kultur und Kontakt zu den Einheimischen suche, habe man gefälligst auch die Sprache zu lernen. Ich frage sie, woher sie den wisse, was ich hier suche und abgesehen davon hätte ich den Eindruck, dass die lieben Einheimischen mir nicht Gratis-Spanisch-Lektionen geben, sondern vor allem Bier verkaufen wollen. Einer der "Clochards" spendiert mir daraufhin spontan ein Bier...

Das Mädchen aus Bayern steuert die Strasse hinauf, mit hochrotem Kopf, verschwitzt. Ich winke, aber sie schaut demonstrativ durch mich hindurch und zieht von dannen. Habe ich etwas Dummes gesagt heute Morgen oder ist sie im Delirium, im Endorphinrausch? Noch andere Gesichter tauchen auf; man kann sich hier wirklich hinsetzten und warten, bis die Welt an einem vorbei zieht; auch das ist etwas, was mir am Frühschicht-Pilgern gefällt. Der hühnenhafte Schwede von gestern schleppt seine Muskeln auf den Stuhl neben mir. Er ist klatschnass, muss seine Füsse verarzten und ist mit seinen Schuhen nicht ganz per Du. Meiner Meinung nach sind das ausgewachsene Bergschuhe, die er da trägt, und die braucht's nicht. Er hat sich das Ganze wohl unwegsamer vorgestellt. Er findet, dass ich ein horrendes Tempo anschlage und ich das nicht lange durchhalte. Der ist gut: selber dem Tod nahe, aber mir Tipps geben. Das hatte ich doch schon mal; genau, der Ferrari in Puente. Irgendwie scheine ich einen bemitleidenswerten Eindruck auf die anderen zu machen, oder wieso wollen mir alle helfen? Ich habe ja bis jetzt überhaupt keine Probleme?!? Ich wende ein, das ich ja auch nicht weiter sei als er, also nicht zu schnell gehe. Ich verkneife mir noch die Bemerkung, dass er mir wesentlich kaputter erscheint als ich. Es scheint überhaupt so zu sein, dass die eher kleinen, schmächtigen Leute besser zum Gehen geeignet sind als die, die ohne Rucksack schon mehr herumtragen, sei es nun Fett oder Muskeln.



Nicht immer bietet die Aussicht Erhebendes...

Im Grossen und Ganzen führe ich ein ungewohnt seriöses Leben auf dem Camino: Nachtruhe ist um 10 Uhr abends, und zwar Punkt 22 Uhr! Fast wie im Militär, nur noch schlimmer: diese Herberge zum Beispiel wird um zehn geschlossen, wie die meisten. In Viana wurde sogar ein Balken vor die Türe gespannt! Im Herr konnte man wenigstens noch an der Wache vorbeischleichen, aber hier ist Sense! Und das ganze Gepäck wäre ja drin! Ich habe nie versucht, herauszufinden, ob einem die anderen Pilger hereinlassen würden, sondern bin immer mit gehörigem zeitlichen Polster "eingerückt", so auch heute, wo ich wieder einmal die Vorzüge des Einzelpilgerns schamlos ausgenützt habe: ich hatte beim Nachtessen eine ganze Flasche Wein für mich alleine, und nicht mal schlechten. Diese Bettschwere war auch nötig, um die ewig quasselnde finnische Kolonie im Zimmer zu ertragen. Ich dachte immer, Finnen seien so schweigsam, sitzen ganze Polarnächte im Kreis und tun nichts anderes als sich anschweigen und Fette kauen? Es stimmt also, dass der Camino einem verändert...

Dienstag, 22. September 2009

E6 - Viana

Villamayor du Monjardin bis Viana (km 148)
29km, 6.5 Std, 6E Herberge, 10E Essen, 5E Diverses

Vom Weg ist mir nicht viel geblieben. Solche Etappen gibt's. Die läuft man einfach, die gehen einfach vorbei, und man sieht nicht viel, denkt nicht viel oder sogar nichts ausser "wo ist der nächste Pfeil". Es scheint eine Etappe zu sein, auf der es vielen Pilgern so geht. Oder warum nehmen die sich Zeit, einen ganzen Hang mit Steinhäufen zu bepflanzen?



Beschäftigungstherapie...

Peter aus Biel hält mich immer noch für Werner und schlägt ein ganz schön flottes Tempo an. Nicht ganz so schnell wie Jupp, eigentlich genau mein Schritt. Aber er hat nicht unbedingt Lust auf Begleitung, er hat sich nämlich erst gerade von einer anhänglichen Österreicherin getrennt, mindestens tagsüber, der er sich angenommen hat, weil sich "nichts so richtig traut". Ein Stück weit kann ich es ihr nachvollziehen: ich habe auch ein paar Tage gebraucht, bis es für mich selbstverständlich wurde, alleine in ein überfülltes Restaurant zu gehen und mich einfach irgendwo dazu zu setzen. Wobei ich auch sagen muss, dass dies einem auf dem Camino nicht so schwer gemacht wird. Wer sich einigermassen benimmt, die letzte Dusche nicht erst vor einer Woche genommen hat und nicht ausdrücklich allein sein will (auch das wird akzeptiert), muss selten alleine essen. Peter und ich versuchen, getrennt zu gehen, aber da unsere Tempi zu ähnlich sind, ist das ziemlich schwierig... Folgerichtig treffen wir kurz vor Viana wieder zusammen.





Marsch durch Weinberge und endlose Weiten.

Die Herberge in Viana bietet endlich die versprochenen dreistöckigen(!) Betten. Da bleibt für die unteren nicht viel Kopffreiheit. Und man kann sich das hier nicht aussuchen: bei der inzwischen zur täglichen Routine gewordenen Registration wird einem das  Bett gleich zugeteilt. An dieses Registrierungsprozedere muss ich mich übrigens noch gewöhnen; bin meiner Lebtag noch nie soviel erfasst worden und komme mir manchmal vor wie ein Verbrecher. Bei Peter merkt man, dass er ein Camino-Profi ist: während ich immer noch überlege, welche Siebensachen ich auf mein mittleres Bett packen soll und wie ich da überhaupt hineinklettere, hat er bereits eingepufft, ist geduscht und fragt, ob ich auf ein Bier mitkomme. Sein milde lächelnder Gesichtsausdruck signalisiert Verständnis für meine Langsamkeit. Viana selber scheint nur aus Altstadt zu bestehen, und es hat erstaunlich wenige tiendas, also Läden. Ich bin nämlich immer noch auf der Suche nach einem besseren Schirm.




Viana scheint nur aus Altstadt und einer Kirchenruine zu bestehen...

Beim Nachtessen setzt sich ein riesiger Schwede zu mir, der Aussieht, wie wenn er schon Wochen, nein, Monate unterwegs wäre. Typ Outdoor mit langen, wallenden Haaren und wildem Bart. Wie früher auf der Camelwerbung. Er findet, dass die Alleinreisenden schon die interessanteren Menschen seien, mustert mich dabei mit seinen Ikea-blauen Augen so gründlich, dass mir Angst und Bange wird, aber da läutet zum Glück sein Handy und seine Frau ist dran. Puh, befürchtete einen Moment, ich hätte mir da einen Verehrer angelacht. Ich möchte mich hiermit dafür entschuldigen, das weitere Tischgespräch verlief nämlich im durchaus angenehmen Rahmen.

Montag, 21. September 2009

E5 - Villamayor du Monjardin

Puente la Reina bis Villamayor du Monjardin (km 119)
29km, 6.5 Std, 5E Herberge, 10E Essen, 5E Frühstück

Im ausgedruckten Unterkunftsverzeichnis der schon mehrfach erwähnten Paderborner Pilgergesellschaft entdecke ich die Notiz, dass der steile, lehmige Hang 2.5km nach Puente bei Nässe schwierig zu erklimmen sei. Ich nutze die Gunst der ersten, noch trockenen Stunde und schaffe den Hügel noch ohne Regen. Er hat es tatsächlich in sich, ich komme ziemlich ins Schnaufen. Kaum oben, werde ich von Regenschauern begrüsst, die den ganzen Morgen anhalten. Stört mich aber nicht, in der beruhigenden Gewissheit, der Strecke für heute ein Schnippchen geschlagen zu haben. Ich fühle mich schon unterwegs als Sieger. Allerdings bekomme ich von der restlichen Etappe nicht mehr so viel mit; ich fürchte mich immer noch vor nassen Füssen, will keine Blasen einfangen, und schaue drum meistens 2 Meter vor mir auf den Boden statt in die hügelige, aber für Schweizer sanfte Landschaft. Der billige 5-Euro-Schirm lässt zwar etwas Regen durch, aber das Konzept überzeugt mich nach wie vor. Trotz steilen Anstiegen und flottem, immer noch zu schnellem Marschieren hält sich die Transpiration in Grenzen. Ich schaffe es sogar, während der letzten Stunde sozusagen laufend trocken zu werden!



Tja, im Trocknen sind das angenehme Wege...

Ich bin den ganzen Tag alleine unterwegs, auch den Jupp sehe ich nicht mehr. Wie ich später erfahre, habe ich beim oben erwähnten ersten Stutz slapstickreife Szenen verpasst: die Leute mussten im Schlamm Ketten bilden, um sich gegenseitig den Hang hochzuziehen! Mit Spannung erwarte ich den berühmten Weinbrunnen des Klosters Irache, ein Werbegag einer Weinfirma: da kommt tatsächlich aus dem rechten Hahn Wasser, aus dem linken Wein! Allerdings ist der Strahl dünner als bei einem Neunzigjährigen, keine Chance, meine Halbliter-PET-Flasche zu füllen. Ehrlich gesagt kein Verlust, den der Stoff ist kein hochstehender Genuss. Ein kurliger älterer Herr hilft mir beim Einfüllen. Ich ordne ihn dem Personal der Weinfirma zu, denn er trägt keinen Rucksack, sondern zieht einen Wagen hinter sich her. Er ist aber, wie sich später herausstellt, ein Pilger. Er wird mein Held sein, drum erwähne ich ihn hier schon. Hier treffe ich die beiden Manuels wieder, in weiblicher Begleitung. Allerdings nur für einen. Der stille Deutsche wird vom umtriebigen Schweizer ausgestochen, scheint ein bisschen das dritte Rad am Velo zu sein und will sich drum mir anhängen.

In Villamayor lasse ich die offizielle Herberge links bzw. rechts liegen. Sie macht mich einfach nicht an, ist mir unsympathisch, der Wirt steht schon gelangweilt davor, beachtet mich nicht einmal. Dieses Bauchgefühl wird mich auch später noch oft leiten, und ich bin damit niemals schlecht gefahren. Abgesehen davon wird sie im Unterkunftsverzeichnis als "Notlösung" beschrieben. Also weiter zur "Hogar Monjardin", ist nur ein paar Meter weiter, aber noch nicht offen. Offiziell jedenfalls nicht. Das Schild sagt, dass erst um 16 Uhr registriert wird, aber der Eingang sei links und: der ist offen. Ich fasse das als Einladung auf, trete ein, niemand da. Etwas unheimlich, aber was soll's: Bett auswählen, Duschen, das Wichtigste waschen und aufhängen. Ich setze mich in Trainerhose vor die Herberge. Andere Pilger erscheinen, zum Teil todmüde, sehen das Schild "Offen ab 16:00" und gehen enttäuscht weiter, weil es erst kurz nach zwei Uhr ist. Hm, sind das unselbständige Leute?!? Einige halten mich für den Hüttenwart, und einigen sage ich auch, dass sie ruhig rein können. Es sei zwar noch niemand vom Personal da, aber es sei ja offen. Ja, und ich gestehe: einigen Typen, die schon grossmäulig daherkommen, sage ich unverfroren, dass die Hütte erst um 16 Uhr aufmacht und sie ziehen tatsächlich weiter. Tja, der Camino bringt auch die dunklen Seiten an den Tag :-) Einige Pilger von der anderen Herberge bestätigen übrigens mein Bauchgefühl: es sei dort tatsächlich schrecklich.



Manuel und Manuel können sich nicht zum Bleiben entschliessen.

Es geht holländisch-locker zu und her, das Pilgerbüro wird dank des mittlerweile eingesetzten Sonnenscheines kurzerhand im Freien installiert, bei Bier und Brötchen. Es entsteht ein bisschen Gartenbeizathmosphäre. Ich tue den Rest des Nachmittages, wie später noch oft, nichts anderes als die Sonne geniessen und den Leuten zuschauen. Ich habe zum Beispiel noch nie soviel Frau auf ein Mal gesehen wie jetzt gerade. Ist bestimmt 188 gross, aber wirkt wie zwei Meter. Eindrücklich. Oder die beiden Manuels treffen ein, machen kurz Rast, mit dem Girl im Schlepptau. Ihnen ist das hier aber verdächtig, riecht nach Sonntagsschule. Das Nachtessen ist dann tatsächlich ganz andächtig, mit gemeinsamem Gebet zu Anfang, und die Herbergsleute suchen ganz verstauensvoll das Gespräch mit uns, wollen wissen, warum wir denn unterwegs seien. Ist mir nicht ganz geheuer; ich habe schliesslich in einem Buch gelesen, dass genau diese Frage Tabu sei. Ich weiche aus und spreche darum das erste Mal französisch mit meinem Gegenüber, einer älteren Pilgerin aus Frankreich, sehr nett und eine Ausnahme: sie spricht langsam, so dass ich eine Chance habe, sie zu verstehen! Es geschehen noch Wunder! Nach dem Essen treffe ich erst den zweiten Schweizer: Peter aus Biel findet, dass ich dem einzigen Glarner, den er kennt, nämlich dem Werner Marti, zum Verwechseln ähnlich sehe. Er sagt mir auch den ganzen Abend und noch am nächsten Tag "Werner".


Genial: keine Leitern für die oberen Betten! Hua!


Ich muss mir mal wieder Gedanken über mein Tempo machen. 6.5 Stunden für die hügeligen knapp 30 km, dass ist zu schnell! Das halte ich nicht durch! Vor allem gibt es keinen Grund: hier treffen auch um 17:30 noch Leute ein und erhalten auch noch ein Bett. Also, warum pressiere ich?


Grossartige Aussicht direkt von der Herberge aus.

Sonntag, 20. September 2009

E4 - Puente la Reina

Pamplona bis Puente la Reina (km90)
23km, 4.5 Std, 5E Herberge, 8E Menu, 2E Bier :-)

Die Herberge zieht nochmals alle Register: Toast und Orangensaft zum Frühstück! Ich bin gut gelaunt, reisse Sprüche am Morgentisch und ernte Bewunderung für meine "Lockerheit". Ich wende ein, dass mir das schon noch vergeht, aber solange ich gut drauf bin, möchte ich das geniessen.

Schönes Wetter heute. Ich wusste gar nicht, wie schön schönes Wetter sein kann. Trocken laufen zu können empfinde ich plötzlich als Luxus. Ich gehe alleine los, treffe aber schon bald auf bekannte Gesichter. Die sind also entweder noch früher gestartet als ich oder waren schon ein Dorf weiter. Ich wandere staunend durch schmucke, fast kitschige Dörfer, bis ich von weitem den Perdon-Kamm sehe. Diese nicht mal 1000 Meter hohe Bergkette ist so etwas wie ein Wettertrenner: während des etwa einstündigen Aufstieges zu den Windmühlen bläst es mir fast die Jacke vom Leib, und kaum bin ich über dem Grat, ist es gespenstisch windstill und wird übergangslos heiss. Auf dieser wildromantischen Etappe in nicht nur wegen dem Wind atemberaubender Landschaft sind heute viele Sonntagswanderer unterwegs. Viele davon machen sich eine Art Sport daraus, sich mit 'richtigen Pilgern' zu messen. Da geraten sie bei mir an den Falschen. Meistens bin ich sowieso schneller ohne dass ich mich besonders beeile. Und wenn jemand schneller ist als ich, ist mir das piepegal. Die können nämlich morgen im Büro ausruhen, ich aber muss weiter. Und übermorgen wieder, und am Tag danach auch, und die nächsten ungefähr dreissig Tage auch noch. Ivano, der Italiener, der sich in Roncesvalles beim Nachtessen so herrlich über die verkochte Pasta aufregen konnte, schleppt sich schweren Schrittes den für nicht-Schweizer wohl steilen Naturweg hinauf. Er hat den iPod in den Ohren und hat offensichtlich keine Lust auf Konversation. Er leidet, ich nicht, und das passt ihm nicht.



Das berühmte Pilgerdenkmal hinter Cizur Menor. Im Hintergrund die modernen Windmühlen.

Da Puente la Reina touristisch überlaufen sei, möchte ich eine Ortschaft vorher übernachten, aber die dortige Herberge öffnet erst um 16:00 und die Tür sieht massiv verrammelt aus. Da zischt ein anderer Italiener im Ferrari-Tempo an mir vorbei. Ich dachte, ich gehe schon schnell, aber im Vergleich zu ihm bin ich ein Hürlimann-Traktor. Aber kaum hat er mich 10 Meter abgehängt, reisst er einen Stopp auf den Asphalt und fragt mich völlig überraschend, ob ich auch einen Trinken komme. Er braucht dringend ein Bier, ich möchte mir das als Belohnung für nach dem Marsch aufsparen. Er biegt als ab, Boxenstopp. Ich ziehe nur kurz meinen Schuh aus, um einen Kiesel zu entfernen, da rauscht der doch schon wieder an mir vorbei! Der läuft nicht nur schnell, der säuft auch schnell!



Beliebtes Fotosujet: die Brücke von Puente la Reina. Doppelt gemoppelt, denn Puente heisst ja schon Brücke...

Die Herberge am Dorfeingang links ist entgegen meinem Buch sauber, geräumig und hat nicht dreistöckige Betten. Sie hat sogar einen Getränkeautomaten, wo man Bier in 33cl Dosen bekommt. Bisher, in den Bars unterwegs, wurde mir das Bier eher in homöopathischer Dosis verabreicht; eine canja (etwa: Stange, also ein Glas Fassbier) ist fast immer nur 2 dl! Skandalös! Siehe da, der Ferrari ist auch schon da. Er hat sich das beste Bett geschnappt, aber das hat er nicht nur verdient, er braucht es auch. Er ist nämlich völlig fertig. Dies ist nicht nur mein Eindruck, sondern auch seiner. Am Telefon beklagt er sich lauthals (soviel Kraft hat er noch) dass er heute 23km gelaufen sei (Na und? Ich auch!?), dass ihm die Füsse wahnsinnig weh tun und überhaupt er jetzt nicht mehr kann und will. Das alles auf Italienisch, wahrscheinlich noch viel mehr, aber das in etwas habe ich verstanden.



Alles noch heil.

Die kleine Stadt ist ein Rundgang wert, natürlich muss ich die berühmte Brücke fotografieren, ich komme mir bald schon vor wie... ja, wie Jupp, der Vortragspilger, der hier auch mit der Kamera unterwegs ist. Wir kommen wieder ins Plaudern, wie alte bekannte. Wir begrüssen uns nicht speziell, sagen auch nicht speziell auf Wiedersehen, als wir uns wieder trennen. Denn wie sagt Jupp so gerne: "Man trifft sich immer wieder auf dem Camino." Ich sehe auch ein paar andere Gesichter wieder: Manuel (D), der eher stille, zurückhaltende aus Deutschland, ist auf einen anderen Manuel (CH) aus der Schweiz gestossen, eher laut, ein Showman. Ein ungleiches Paar, das meiner Meinung nach nur der gleiche Vorname verbindet. Diese Tiere wollen heute noch weiter, und zwar 20 Kilometer! Diese Jugend! Wenn ich doch nur auch so fit wäre! Aber irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass ich die alle schon wieder sehe. Und zu meiner grossen Verwunderung (oder auch nicht...:-) sehe ich auch den spanischen Outdoor-Instruktor wieder, den ich auf der zweiten Etappe am morgen habe stehen lassen, der über die viel zu kurzen Etappen geschnödet hatte und von dem ich angenommen hatte, dass er mich längst irgendwo unbemerkt überholt hat. Aber er steht da, verschwitzt, mit hochrotem Kopf, scheint völlig ausser Atem. Er ist also auch nicht weiter als ich. Nur bin ich geduscht, erholt und habe schon ein Bierchen in der Krone, während der da gerade um sein rein körperliches Überleben kämpft. Ich verkneife mir jede Schadenfreude, denn ich vermute, die Begegnung ist eine Pilgerprüfung von oben, ganz fies angelegt. Ich hätte noch viele Gründe zur Schadenfreude: all die vielen Mitpilger, die ich jetzt allabendlich in den Herbergen herumhumpeln sehe. Aber komischerweise habe ich statt Schadenfreude eher ein schlechtes Gewissen. Irgendwie leide ich zuwenig. Mir fehlt nämlich nichts, keine Blasen, die Füsse sind in Hochform.

Samstag, 19. September 2009

E3 - Pamplona

Larrasoaina bis Pamplona (km 67)
15km, 3 Std, 6E Herberge, 6E Wäsche, 10 E Essen

Heute bin ich mal nicht alleine unterwegs: der ältere Herr von gestern hat in etwa den gleichen Schritt drauf und macht auch nicht gerne Pause. Josef "Jupp" Miller aus der Gegend um Ulm oder um Ulm herum :-) ist auch schon ein paar Marathons gerannt, also haben wir schon mal genügend Gesprächsstoff. Dazu ist er auch noch Imker, und er hat ein spezielles "Problem": seine Wohngemeinde weiss, dass er auf dem Jakobsweg ist, der Bürgermeister hat ihn persönlich verabschiedet und alle Welt erwartet nun von ihm einen erhebenden Vortrag mit spektakulären Bildern und natürlich Geschichten über Erscheinungen, Wunder, Entbehrungen. Dadurch fühlt er sich etwas gestresst. Er will an bestimmten, fotografisch ergiebigen Orten früh genug ankommen, um noch genügend Licht für gute Bilder zu haben. Wie niedrig sind dagegen meine Beweggründe für flottes Gehen: ich will einfach genügend Toilettenpapier und warmes Wasser haben. Aber die Verschiedenheit der Beweggründe ist auf dem Camino egal. Wir haben das gleiche Tempo, und nur das zählt fürs Zusammengehen.


Auf einer der zahlreichen Brücken unterwegs


Auch heute regnet es zwischendurch, aber bei weitem nicht mehr so heftig. Die Strecke besteht aber immer noch zu einem grossen Teil aus Staubstrassen, sagt mein Buch, doch bei dem Wetter staubt es nicht, es pflotscht. Meine günstigen Salomon Schuhe halten tatsächlich dicht, ich muss nur aufpassen, dass von oben kein Wasser hineinrinnt. Daran denken viele nicht und wundern sich, dass sie in ihren Hightechlatschen trotzdem nass werden. Und nasse Füsse sind tödlich: Blasen sind dann praktisch garantiert. Meine in letzter Minute noch gekauften Regenhosen habe ich von der Länge her so ausgewählt, dass sie wie Gamaschen haargenau die Schuhe abdecken, ohne dass ich auf die Hosenbeine stehe. Sie haben Seitenreissverschlüsse für einfach(er)es An- und Ausziehen. Und sie funktionieren: immer wenn ich sie anziehe, stoppt der Regen auf :-) Wenn ich sie ausziehe, regnet es wieder. Also versuche ich einen gutschweizerischen Kompromiss: ich lasse sie an, öffne aber den Reissverschluss von unten bis über die Knie. Sieht ein bisschen beknackt aus. Und um die Mitpilger (wir sehen zwar heute nicht allzu viele. Wo die alle stecken? Wohl zu fein für den Regen?) vollends zum Kopfschütteln zu animieren, habe ich mir einen kleinen, billigen, schwarzen Knirps-Schirm gekauft, zum Testen. Funktioniert für mich prächtig: mein Kopf bleibt an der frischen Luft, ich habe gute Sicht und mein Gehör wird nicht durch eine Kapuze beeinträchtigt. Ich kann in anstrengenden Aufstiegen, und solche hat's doch heute einige, sogar die Jacke oben ein Bisschen öffnen. Ein weiterer Vorteil: ich kann, im Gegensatz zu Jupp mit seiner Pelerine, unterwegs auch mal ein Buch öffnen oder etwas Kleines essen, ohne dass alles nass wird. Mich stört es auch nicht, das ich die Hände für Stöcke dann nicht frei habe. Ich habe nur einen, und selbst den brauche ich nicht wirklich. Die meisten sind mit zwei Stöcken unterwegs, das sei eine grosse Hilfe, vor allem bei steilen Abstiegen. Mir ist meiner vor allem bei steilen Abstiegen und in unwegsamem Gelände eher im Weg. Ich habe mir das Ding vor allem als Schutz gegen die berühmten wilden Hunde gekauft, habe bis jetzt aber noch keine gesehen.



Mein Hab und Gut vor der Paderborner Herberge, Pamplona

Die Etappe ist zwar schwieriger als im Buch beschrieben, aber sehr kurz, und so kommen wir bereits vor 10 Uhr bei der Herberge der Paderborner Gesellschaft (gleich nach der Brücke Stadteingang links, ca. 300 Meter) in Pamplona an. Sie öffnet zwar erst nachmittags, aber man kann bereits den Rucksack deponieren. Man muss übrigens früh dort sein, die Herberge ist bekannt und beliebt. Als wir zum 'Einchecken' kurz zurückkamen, wurden schon die ersten Pilger an die städtische Herberge verwiesen, und da war es erst kurz nach Mittag!



Mein 'Läuferkollege' aus Ulm (oder um Ulm herum...)

Wir putzen kurz die Schuhe, hängen etwas Wäsche an die Leine, geben den Rest unserer Klamotten als Sammelbestellung an die Herbergsmutter, die das Zeugs für uns wäscht und trocknet und ziehen los zu einer ersten Stadtbesichtigung. Das Gehen ohne Rucksack ist nur im ersten Moment erleichternd: nach einer Stunde Spazieren in Turnschuhen ohne Ballast habe ich schon Rückenschmerzen! Die Altstadt mit dazugehöriger Burganlage (?) hat etwas Malerisches, auch wenn wir die relative Hektik und den Lärm bereits nicht mehr gewohnt sind. Aber es gibt an jeder Ecke ein (offenes) Restaurant, wovon wir ausführlich Gebrauch machen.


Feststimmung in Pamplona


In Pamplona wäre eigentlich der erste Ruhetag geplant gewesen. Aber die Etappe selber war ja schon ein Ruhetag: ganze 15km lang, vor 10 Uhr schon am Ziel und den ganzen Tag zum Herumhängen, Erholen. Ich fasse den Entschluss, morgen weiter zu laufen, entgegen meiner Philosophie, dass man Ruhetage einbauen soll, solange man sie freiwillig machen kann. Und nichts gegen Jupp, seine Gesellschaft war sehr angenehm, aber morgen brauche ich etwas Ruhe.

Freitag, 18. September 2009

E2 - Larrasoaina

Roncesvalles bis Larrasoaina (km 52)
26km, 6 Std, 5E Herberge, 12 E Essen

Hape Kerkeling lässt grüssen; es schifft den ganzen Tag. Aber zum Glück erst auf der zweiten Etappe. Ich muss aber am morgen erst mal herausfinden, wie ich mein Regenoutfit montiere. Die Rucksackhülle zum Beispiel habe ich noch nie ausgepackt, die Regenhose war noch nie an meinen Beinen. Die Afrikajacke trotzt gemäss Website der Herstellerfirma auch schwerem Unwetter; heute kann sie es beweisen. Ich bin eigentlich weniger geschockt über den Regen als vielmehr neugierig, wie sich das anfühlen wird. Ich hatte im Vorfeld ziemliche Panik vor dem Regen, habe mir am letzten Tag noch eine Regenhose gekauft, aber die Pelerine im Keller vergessen. Nichts desto Trotz: auf in den Kampf.

Da es noch sehr dunkel ist, schliesse ich mich einer Gruppe von Lichtkegeln an. Erst nach einer Weile merke ich , dass ich mich an den spanischen Outdoor-Instruktor angehängt habe, der gestern Abend sich gewundert hat, dass ihm sein Spanisch im eigenen Land nichts nützt, weil auf dem Camino alles andere gesprochen wird. Er und seine Begleiter schlagen ein horrendes Tempo an. Er hat mir ja auch erzählt, dass diese mickrigen 25km-Etappen, wie man sie in den Wanderführern findet, keine Herausforderung für ihn sind. So um die 40 Kilometer pro Tag sollten es schon sein. Ich bleibe nur dran, weil ich mich nicht verlaufen will. Aber ich ahne es: in der ersten Ortschaft entdecken die flotten Jungs eine offene Bar und wollen da kurz auf einen Kakao einkehren. Ich bin irgendwie froh, dass die Rennerei ein Ende hat, ich wäre nämlich bald zusammengebrochen. Ich verabschiede mich mit der Bemerkung, dass sie mich ja sowieso bald wieder einholen und lasse mir noch den Ratschlag geben, dass mitten im Dorf an einer Hauswand hoch oben ein Pfeil angebracht sei, wo der Weg unmittelbar rechts abbiege. Woher immer er das weiss, ich danke ihm, denn ich hätte die Markierung glatt übersehen! Aber getroffen habe ich die wackeren Kämpfer dann doch den ganzen Tag nicht mehr.


An diesem Tag hat's so geregnet, dass ich die Kamera tatsächlich nur ein einziges Mal gezückt habe...

Laut Manuel's Buch wäre das heute eine Flachetappe. Davon merke ich nichts. Es hat zwar keine Berge, aber es geht dauernd über irgendwelche Hügel. Der Boden ist meistens tief, glitschig und vor allem lehmig. Das Zeugs klebt an den Schuhen, so dass man pro Viertelstunde 5 cm wächst. Ich trampe sogar freiwillig durch Pfützen, um das Zeugs wenigstens ein Bisschen abzuwaschen. Ich laufe ohne Pause durch und denke immer an Kerkelings Satz: "Bei diesem Wetter will man nicht laufen, sondern ankommen, und das möglichst rasch!". Ich kann das nur unterstützen. Mein Regenschutz ist noch nicht ausgereift. Die Jacke hält recht gut dicht, aber zum Beispiel am Hals rinnt es eben doch runter. Und die Kapuze stört irgendwie die Rundumsicht und man hört nicht so gut. Unter einem Poncho (Pelerine) sieht man zwar wie ein echter Pilger aus, aber mich dünkt es, die Leute schwitzen da nicht wenig; ich wäre da sicher von innen nässer als von aussen. Ich erinnere mich an einen älteren Herrn, der einen Wanderstock mit integriertem Schirm dabei hatt und beschliesse, mir bei nächster Gelegenheit einen günstigen Schirm zu kaufen und auszuprobieren.

Zubiri wäre eigentlich mein heutiges Etappenziel gewesen, aber ich bin doch ein bisschen früh dran. Ich treffe einen älteren Herrn, der auch etwas verloren da herumsteht, aber immerhin weiss, dass man zum Weiterlaufen hätte vor Zubiri, d.h. vor der Brücke gleich links weiter gehen muss. Ich folge dem Tipp und beschliesse, dass ich nicht mehr nässer werde und eile drum weiter. Die nächsten 5 Kilometer sind auch nicht mehr so morastig, so komme ich auch in Larrasoaina bereits kurz nach 13:00 an. Die Herberge finde ich auf Anhieb, aber leider kein Restaurant, wo ich mich unterstellen könnte, denn die Herberge öffnet erst um 15:00 Uhr. Langsam geht mir nämlich der Regen auf den Geist, ich habe Hunger und ich fange an zu frieren. Es bleibt mir nichts anderes übrig als mich im Regen so nahe wie möglich an eine Mauer zu drängen und dort ein bisschen Restproviant zu verdrücken. Mir fällt die Wurst in den Sand, aber ich putze sie vor dem Essen nicht mal ab, so hungrig bin ich. Und aufgeweichtes Brot entbindet mich immerhin der Mühe, das Zeugs auch noch kauen zu müssen. Frisch gestärkt durch das königliche Mahl wage ich mich auf einen erneuten Erkundungsgang durch das Dorf und am Ende der (vermutlichen) Hauptstrasse entdecke ich, markttechnisch ziemlich ungünstig von der Strasse zurück versetzt, das einzige Restaurant. Und es hat offen! Zwei Rucksäcke stehen davor, also bin ich nicht der einzige Pilger, der sich dahin verirrt hat! Aber mit meinen verschlammten Schuhen komme ich da kaum rein, denke ich. Ich deute so entschuldigend wie möglich auf meine dreckigen Treter, aber die Bardame lächelt mich nur verständnisvoll an. Meine lehmigen Schuhe stören sie nicht, aber den sauberen Rucksack will sie unter keinen Umständen in ihrem Etablissement sehen... Ich tue ihr den Gefallen, Hauptsache ich kann die Sandwurst mit ein paar Cervesas runterspülen. Der ältere Herr von Zubiri steht auch schon da. Wie und wo er an mir vorbei ist, leuchtet mir nicht ein, aber wir verstehen uns auf Anhieb. Ich bewundere ihn, wie er es geschafft hat, mit dem Rucksack hie herein zu kommen, und er lässt sich durch mich zu einem Bier animieren.

Die Herberge hält leider nicht, was mein Buch verspricht. "Sehr angenehm" steht da, aber man schickt uns über die Strasse (vermutlich in eine Art Notherberge, weil wir alle ziemlich nass und verdreckt sind) und der Typ, der uns wohl alle für beknackt hält, im Regen herumzustolpern, verkündet ganz stolz, dass man im Parterre die Klamotten trocknen könne. Ich stelle mir irgend ein Gebläse, einen Luftentfeuchter oder so etwas vor, aber da stehen nur zwei Plastikwindelständer. Viel zu wenig für die vielen Leute. Das Gleiche mit den Duschen, wie schon gestern. Da man sich heute die Betten selber auswählen kann, gönne ich mir ein unteres. Klar gibt es ältere Leute, die nun nach oben klettern müssen, aber irgendwie wird man auch ein kleines bisschen egoistisch: wer tagsüber trödelt, muss nehmen was übrig bleibt. Die Wäsche hänge ich an die Federn des Oberbettes, ein Pilgertrick, der noch oft kopiert werden sollte. Aber da die Mehrheit, bzw. die lautesten der Pilger (also die Spanier) sich weigern, die Fenster auch nur einen Zentimeter zu öffnen während der Nacht, sind die Klamotten am nächsten Morgen noch feuchter als vor dem Aufhängen...

Die Leute beginnen sich Sorgen wegen der Verpflegung zu machen. Irgendwer hat aber herausgefunden, dass das einzige Restaurant am Ende des Dorfes ein Pilgermenü anbietet. Die 12 Euro sind das höchste, was ich auf der ganzen Reise für ein Pilgermennü bezahlen sollte, aber das wusste ich ja noch nicht. An diesem Tag hätte ich auch das Doppelte bezahlt. Immerhin gab's einen Dreigänger, man konnte bei jedem Gang zwischen drei Varianten wählen. Und der Wirt trug die Gänge mit Engelsgeduld an jedem Tisch mindestens dreimal vor, bis es jeder verstanden hatte. Wir sind eben noch Anfänger. Später kennen wir die typischen Pilgermenüs auswendig... Der Wein, auch das war noch neu, gehört zum Essen dazu, muss also nicht extra bezahlt werden. Spanien fängt an, mir zu gefallen!