Samstag, 26. September 2009

E10 - San Juan de Ortega

Recedilla del Camino bis San Juan de Ortega (km 262)
37km, 7 1/4 Std, 7E Herberge, 5E Essen

Nach Winfrieds Kaffee und einem weiteren guten Spruch von ihm in den Ohren ("Warum die Eile? Ich bin ja hier nicht auf der Flucht!") startet sich's heute recht beschwingt. Ist auch nötig, denn die Gegend ist wieder einmal alles andere als abwechslungsreich, eher karg, nur Stoppelfelder. Diese dürren Halme sind so hart, dass man auch mit hohen Schuhen kaum darüber laufen kann, und Winfried sagt, er könne da nicht mal sein Zelt montieren. Passend zur Eintönigkeit verliere ich langsam das Gefühl für die Wochentage. Wenn die Uhr, die mir Matthias mitgegeben hat, diese nicht anzeigen würde, hätte ich keine Ahnung, welcher Tag gerade ist, ausser wenn ich wie heute mich wieder einmal wundere, wieso die Läden zu sind...



Sogar die Dörfer sind karg, aber Hauptsache der Weg ist gut beschildert...

Villafranca wäre für heute das Ziel gewesen. immerhin eine 25 km Etappe. Ich bin aber wieder mal früh dran und blättere ein bisschen im Höllhuber. Da steht, dass das Stück nach Villafranca bzw. vor San Juan de Ortega bei Nebel und Nässe gefährlich sei, ja es sei bei solchen Verhältnissen dringend von der Etappe abzuraten! Hm, das Wetter ist tatsächlich nicht mehr so brillant, es nieselt und ist dunstig geworden. Es könnte gut sein, dass es morgen richtig regnet und neblig ist. Was mach ich dann? Ich kann ja nicht einfach einen Abschnitt auslassen? Also wieder mal einen Entschluss fassen, umdisponieren: ich hänge die 12km noch an, obwohl ich noch nicht mal etwas gegessen habe, und werde somit heute gut 37km zurücklegen! In Erwartung der angedrohten Gefahren gönne ich mir, quasi als Henkersmahlzeit, an einer Tankstelle wenigstens ein bocadillo. Der Tankwart meint es gut mit mir, er kocht das Brötchen in der Mikrowelle solange, bis der ganze schöne feine Käse heraus schmilzt.



Das "gefährliche" Stück nach Villafranca beginnt ganz freundlich...

Ich wundere mich ein bisschen, was an dem Hügel so gefährlich sein soll. Es geht zwar auf über 1100 Meter hinauf, aber der Weg ist relativ eben und breit, sehr breit, stellenweise eine 20 Meter breite Schneise quer durch den Wald, und er ist weiterhin gut beschriftet. Bei Nässe ist das wohl tiefer Boden, und eventuell wurde die übersichtliche Schneise erst nach Herrn Höllhubers Besuch angelegt. Ich komme jedenfalls sehr gut voran und freue mich richtig, eine weitere Prüfung des Caminos so elegant hinter mich gebracht zu haben. Ich überhole eine Gruppe von Frauen, die offensichtlich alle ziemlich leiden. Einige bewegen sich nicht mehr, scheinen am Ende, und zu allem Übel hat mittlerweile die Sonne wieder eingesetzt und heizt tüchtig ein. Eine Dame fragt mich, warum ich mich so beeile, und ich antworte mehr im Scherz: "Ich will eben ankommen, bevor ich müde bin!". Das finden offenbar nicht alle lustig, ich flüchte lieber... Auf den letzten 5km komme ich in einen kleinen Rausch, ich fliege richtig dem Ziel zu. Ich merke zuerst gar nicht, dass sich eine ältere Holländerin an mich geheftet hat und konstant etwa 10 Meter hinter mir bleibt. Die Dame fällt mir am Ziel buchstäblich um den Hals und bedankt sich überschwänglich dafür, dass ich sie ins Ziel gezogen habe. Sie sei eine aus dieser Frauengruppe und fast am Ende gewesen. Sie habe sich aber meinen Spruch nochmals genau überlegt und gefunden: "Stimmt eigentlich! Ich muss weiter, solange es noch einigermassen geht!". Darum habe sie sich mir angehängt.



...auch das "unbedingt zu vermeidende" letzte Teilstück.

Die Herberge selbst ist wieder so eine typische Klosterherberge, aber bei weitem nicht so schlimm wie im Führer beschrieben: viel Platz in den beiden Schlafsälen, die Sanitäreinrichtungen sind nicht katastrophal, sondern sauber, aber wie immer ein bisschen unterdotiert, und es gibt sogar einen kleinen, sonnendurchfluteten Innenhof. Nach einem Bier aus dem Automaten, der obligatorischen Dusche und Wäsche (manchmal mache ich das auch zusammen: ich lasse die Unterwäsche beim Duschen einfach an und spare mir somit den Gang zu den Waschbecken) fällt der Dorfrundgang diesmal sehr kurz aus: es gibt nämlich kein Dorf. Nur das Kloster, eine winzige, überfüllte Bar nebenan und eine Handvoll Häuser, kein Laden, kein Kiosk, einfach nichts. Zum Glück taucht Britta auf, die grosse, gleichzeitig rustikal und elegant wirkende Grosse von der Dreiergruppe der deutschen Mädels, aber sie ist alleine. Die anderen beiden seien verletzt und mit dem Bus nach Burgos gefahren, dem Ende ihrer Pilgerreise. Britta hat wie ich einen eher trockenen Humor :-) und ist immer hungrig.

Mit ihr sollte also sowohl für unterhaltsame Gesellschaft als auch für Verpflegung gesorgt sein. Nach der langen Etappe mit nur einem bocadillo im Magen bin ich nämlich ausgehungert. Die Herbergsbetreiber wissen, dass es fast allen so geht, und so haben sie eine perfide Erpressertaktik erfunden: in der Bar nebenan gibt's aus unerfindlichen Gründen bis halb neun nichts Essbares, in der Herberge gibts gratis Knoblauchsuppe à discretion, aber nur, und jetzt kommt's: nur wenn man vorher an der Messe teilnimmt! Auch eine Art, die Kirche zu füllen! Die Messe beruhigt den Geist, die Suppe aber nicht den Magen, und so machen sich Britta und ich auf die Suche. Irgendetwas ausser den bocadillos in anderthalb Stunden muss es doch hier noch geben! Die Dame hat in Madrid Tiermedizin studiert (warum wundert mich das nicht?), ist somit des Spanisch mächtig und kann uns zu einem Haus durchfragen, das von aussen überhaupt nicht als Restaurant erkennbar ist. Muss wohl so eine Art Privatclub sein, der Blick durchs Fenster verrät feines Interieur, weisse Tischtücher; sieht gar nicht aus, als ob die auf Pilger in Trainerhosen warten. Wir getrauen uns erst nicht, einzutreten. Aber der Hunger scheucht unsere Bedenken weg. Und welche Überraschung: wir sind überhaupt nicht underdressed, im Speisesaal sitzen nämlich nur Pilger (woher sollten in dem 5-Häuser-Kaff auch andere Leute her kommen?), lauter bekannte Gesichter, die das Etablissement einfach schneller gefunden haben:-) Der Barkeeper, der Messdiener und der Kellner hier sind alles ein und dieselbe Person! Das nährt den Verdacht, dass das alles arrangiert ist! Bocadillos gibt's keine, damit man Suppe braucht und drum in die Messe geht. Die Suppe gibt's ohne Brot, damit man nachher doch noch Hunger hat und ein Restaurant sucht. Schön und gut, aber warum das Versteckspiel? A propos nährt: die Menuauswahl ist so beschränkt, ich esse sogar freiwillig Blutwurst, weil das der Teller mit den meisten Kalorien ist...

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