Sonntag, 20. September 2009

E4 - Puente la Reina

Pamplona bis Puente la Reina (km90)
23km, 4.5 Std, 5E Herberge, 8E Menu, 2E Bier :-)

Die Herberge zieht nochmals alle Register: Toast und Orangensaft zum Frühstück! Ich bin gut gelaunt, reisse Sprüche am Morgentisch und ernte Bewunderung für meine "Lockerheit". Ich wende ein, dass mir das schon noch vergeht, aber solange ich gut drauf bin, möchte ich das geniessen.

Schönes Wetter heute. Ich wusste gar nicht, wie schön schönes Wetter sein kann. Trocken laufen zu können empfinde ich plötzlich als Luxus. Ich gehe alleine los, treffe aber schon bald auf bekannte Gesichter. Die sind also entweder noch früher gestartet als ich oder waren schon ein Dorf weiter. Ich wandere staunend durch schmucke, fast kitschige Dörfer, bis ich von weitem den Perdon-Kamm sehe. Diese nicht mal 1000 Meter hohe Bergkette ist so etwas wie ein Wettertrenner: während des etwa einstündigen Aufstieges zu den Windmühlen bläst es mir fast die Jacke vom Leib, und kaum bin ich über dem Grat, ist es gespenstisch windstill und wird übergangslos heiss. Auf dieser wildromantischen Etappe in nicht nur wegen dem Wind atemberaubender Landschaft sind heute viele Sonntagswanderer unterwegs. Viele davon machen sich eine Art Sport daraus, sich mit 'richtigen Pilgern' zu messen. Da geraten sie bei mir an den Falschen. Meistens bin ich sowieso schneller ohne dass ich mich besonders beeile. Und wenn jemand schneller ist als ich, ist mir das piepegal. Die können nämlich morgen im Büro ausruhen, ich aber muss weiter. Und übermorgen wieder, und am Tag danach auch, und die nächsten ungefähr dreissig Tage auch noch. Ivano, der Italiener, der sich in Roncesvalles beim Nachtessen so herrlich über die verkochte Pasta aufregen konnte, schleppt sich schweren Schrittes den für nicht-Schweizer wohl steilen Naturweg hinauf. Er hat den iPod in den Ohren und hat offensichtlich keine Lust auf Konversation. Er leidet, ich nicht, und das passt ihm nicht.



Das berühmte Pilgerdenkmal hinter Cizur Menor. Im Hintergrund die modernen Windmühlen.

Da Puente la Reina touristisch überlaufen sei, möchte ich eine Ortschaft vorher übernachten, aber die dortige Herberge öffnet erst um 16:00 und die Tür sieht massiv verrammelt aus. Da zischt ein anderer Italiener im Ferrari-Tempo an mir vorbei. Ich dachte, ich gehe schon schnell, aber im Vergleich zu ihm bin ich ein Hürlimann-Traktor. Aber kaum hat er mich 10 Meter abgehängt, reisst er einen Stopp auf den Asphalt und fragt mich völlig überraschend, ob ich auch einen Trinken komme. Er braucht dringend ein Bier, ich möchte mir das als Belohnung für nach dem Marsch aufsparen. Er biegt als ab, Boxenstopp. Ich ziehe nur kurz meinen Schuh aus, um einen Kiesel zu entfernen, da rauscht der doch schon wieder an mir vorbei! Der läuft nicht nur schnell, der säuft auch schnell!



Beliebtes Fotosujet: die Brücke von Puente la Reina. Doppelt gemoppelt, denn Puente heisst ja schon Brücke...

Die Herberge am Dorfeingang links ist entgegen meinem Buch sauber, geräumig und hat nicht dreistöckige Betten. Sie hat sogar einen Getränkeautomaten, wo man Bier in 33cl Dosen bekommt. Bisher, in den Bars unterwegs, wurde mir das Bier eher in homöopathischer Dosis verabreicht; eine canja (etwa: Stange, also ein Glas Fassbier) ist fast immer nur 2 dl! Skandalös! Siehe da, der Ferrari ist auch schon da. Er hat sich das beste Bett geschnappt, aber das hat er nicht nur verdient, er braucht es auch. Er ist nämlich völlig fertig. Dies ist nicht nur mein Eindruck, sondern auch seiner. Am Telefon beklagt er sich lauthals (soviel Kraft hat er noch) dass er heute 23km gelaufen sei (Na und? Ich auch!?), dass ihm die Füsse wahnsinnig weh tun und überhaupt er jetzt nicht mehr kann und will. Das alles auf Italienisch, wahrscheinlich noch viel mehr, aber das in etwas habe ich verstanden.



Alles noch heil.

Die kleine Stadt ist ein Rundgang wert, natürlich muss ich die berühmte Brücke fotografieren, ich komme mir bald schon vor wie... ja, wie Jupp, der Vortragspilger, der hier auch mit der Kamera unterwegs ist. Wir kommen wieder ins Plaudern, wie alte bekannte. Wir begrüssen uns nicht speziell, sagen auch nicht speziell auf Wiedersehen, als wir uns wieder trennen. Denn wie sagt Jupp so gerne: "Man trifft sich immer wieder auf dem Camino." Ich sehe auch ein paar andere Gesichter wieder: Manuel (D), der eher stille, zurückhaltende aus Deutschland, ist auf einen anderen Manuel (CH) aus der Schweiz gestossen, eher laut, ein Showman. Ein ungleiches Paar, das meiner Meinung nach nur der gleiche Vorname verbindet. Diese Tiere wollen heute noch weiter, und zwar 20 Kilometer! Diese Jugend! Wenn ich doch nur auch so fit wäre! Aber irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass ich die alle schon wieder sehe. Und zu meiner grossen Verwunderung (oder auch nicht...:-) sehe ich auch den spanischen Outdoor-Instruktor wieder, den ich auf der zweiten Etappe am morgen habe stehen lassen, der über die viel zu kurzen Etappen geschnödet hatte und von dem ich angenommen hatte, dass er mich längst irgendwo unbemerkt überholt hat. Aber er steht da, verschwitzt, mit hochrotem Kopf, scheint völlig ausser Atem. Er ist also auch nicht weiter als ich. Nur bin ich geduscht, erholt und habe schon ein Bierchen in der Krone, während der da gerade um sein rein körperliches Überleben kämpft. Ich verkneife mir jede Schadenfreude, denn ich vermute, die Begegnung ist eine Pilgerprüfung von oben, ganz fies angelegt. Ich hätte noch viele Gründe zur Schadenfreude: all die vielen Mitpilger, die ich jetzt allabendlich in den Herbergen herumhumpeln sehe. Aber komischerweise habe ich statt Schadenfreude eher ein schlechtes Gewissen. Irgendwie leide ich zuwenig. Mir fehlt nämlich nichts, keine Blasen, die Füsse sind in Hochform.

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