Freitag, 18. September 2009

E2 - Larrasoaina

Roncesvalles bis Larrasoaina (km 52)
26km, 6 Std, 5E Herberge, 12 E Essen

Hape Kerkeling lässt grüssen; es schifft den ganzen Tag. Aber zum Glück erst auf der zweiten Etappe. Ich muss aber am morgen erst mal herausfinden, wie ich mein Regenoutfit montiere. Die Rucksackhülle zum Beispiel habe ich noch nie ausgepackt, die Regenhose war noch nie an meinen Beinen. Die Afrikajacke trotzt gemäss Website der Herstellerfirma auch schwerem Unwetter; heute kann sie es beweisen. Ich bin eigentlich weniger geschockt über den Regen als vielmehr neugierig, wie sich das anfühlen wird. Ich hatte im Vorfeld ziemliche Panik vor dem Regen, habe mir am letzten Tag noch eine Regenhose gekauft, aber die Pelerine im Keller vergessen. Nichts desto Trotz: auf in den Kampf.

Da es noch sehr dunkel ist, schliesse ich mich einer Gruppe von Lichtkegeln an. Erst nach einer Weile merke ich , dass ich mich an den spanischen Outdoor-Instruktor angehängt habe, der gestern Abend sich gewundert hat, dass ihm sein Spanisch im eigenen Land nichts nützt, weil auf dem Camino alles andere gesprochen wird. Er und seine Begleiter schlagen ein horrendes Tempo an. Er hat mir ja auch erzählt, dass diese mickrigen 25km-Etappen, wie man sie in den Wanderführern findet, keine Herausforderung für ihn sind. So um die 40 Kilometer pro Tag sollten es schon sein. Ich bleibe nur dran, weil ich mich nicht verlaufen will. Aber ich ahne es: in der ersten Ortschaft entdecken die flotten Jungs eine offene Bar und wollen da kurz auf einen Kakao einkehren. Ich bin irgendwie froh, dass die Rennerei ein Ende hat, ich wäre nämlich bald zusammengebrochen. Ich verabschiede mich mit der Bemerkung, dass sie mich ja sowieso bald wieder einholen und lasse mir noch den Ratschlag geben, dass mitten im Dorf an einer Hauswand hoch oben ein Pfeil angebracht sei, wo der Weg unmittelbar rechts abbiege. Woher immer er das weiss, ich danke ihm, denn ich hätte die Markierung glatt übersehen! Aber getroffen habe ich die wackeren Kämpfer dann doch den ganzen Tag nicht mehr.


An diesem Tag hat's so geregnet, dass ich die Kamera tatsächlich nur ein einziges Mal gezückt habe...

Laut Manuel's Buch wäre das heute eine Flachetappe. Davon merke ich nichts. Es hat zwar keine Berge, aber es geht dauernd über irgendwelche Hügel. Der Boden ist meistens tief, glitschig und vor allem lehmig. Das Zeugs klebt an den Schuhen, so dass man pro Viertelstunde 5 cm wächst. Ich trampe sogar freiwillig durch Pfützen, um das Zeugs wenigstens ein Bisschen abzuwaschen. Ich laufe ohne Pause durch und denke immer an Kerkelings Satz: "Bei diesem Wetter will man nicht laufen, sondern ankommen, und das möglichst rasch!". Ich kann das nur unterstützen. Mein Regenschutz ist noch nicht ausgereift. Die Jacke hält recht gut dicht, aber zum Beispiel am Hals rinnt es eben doch runter. Und die Kapuze stört irgendwie die Rundumsicht und man hört nicht so gut. Unter einem Poncho (Pelerine) sieht man zwar wie ein echter Pilger aus, aber mich dünkt es, die Leute schwitzen da nicht wenig; ich wäre da sicher von innen nässer als von aussen. Ich erinnere mich an einen älteren Herrn, der einen Wanderstock mit integriertem Schirm dabei hatt und beschliesse, mir bei nächster Gelegenheit einen günstigen Schirm zu kaufen und auszuprobieren.

Zubiri wäre eigentlich mein heutiges Etappenziel gewesen, aber ich bin doch ein bisschen früh dran. Ich treffe einen älteren Herrn, der auch etwas verloren da herumsteht, aber immerhin weiss, dass man zum Weiterlaufen hätte vor Zubiri, d.h. vor der Brücke gleich links weiter gehen muss. Ich folge dem Tipp und beschliesse, dass ich nicht mehr nässer werde und eile drum weiter. Die nächsten 5 Kilometer sind auch nicht mehr so morastig, so komme ich auch in Larrasoaina bereits kurz nach 13:00 an. Die Herberge finde ich auf Anhieb, aber leider kein Restaurant, wo ich mich unterstellen könnte, denn die Herberge öffnet erst um 15:00 Uhr. Langsam geht mir nämlich der Regen auf den Geist, ich habe Hunger und ich fange an zu frieren. Es bleibt mir nichts anderes übrig als mich im Regen so nahe wie möglich an eine Mauer zu drängen und dort ein bisschen Restproviant zu verdrücken. Mir fällt die Wurst in den Sand, aber ich putze sie vor dem Essen nicht mal ab, so hungrig bin ich. Und aufgeweichtes Brot entbindet mich immerhin der Mühe, das Zeugs auch noch kauen zu müssen. Frisch gestärkt durch das königliche Mahl wage ich mich auf einen erneuten Erkundungsgang durch das Dorf und am Ende der (vermutlichen) Hauptstrasse entdecke ich, markttechnisch ziemlich ungünstig von der Strasse zurück versetzt, das einzige Restaurant. Und es hat offen! Zwei Rucksäcke stehen davor, also bin ich nicht der einzige Pilger, der sich dahin verirrt hat! Aber mit meinen verschlammten Schuhen komme ich da kaum rein, denke ich. Ich deute so entschuldigend wie möglich auf meine dreckigen Treter, aber die Bardame lächelt mich nur verständnisvoll an. Meine lehmigen Schuhe stören sie nicht, aber den sauberen Rucksack will sie unter keinen Umständen in ihrem Etablissement sehen... Ich tue ihr den Gefallen, Hauptsache ich kann die Sandwurst mit ein paar Cervesas runterspülen. Der ältere Herr von Zubiri steht auch schon da. Wie und wo er an mir vorbei ist, leuchtet mir nicht ein, aber wir verstehen uns auf Anhieb. Ich bewundere ihn, wie er es geschafft hat, mit dem Rucksack hie herein zu kommen, und er lässt sich durch mich zu einem Bier animieren.

Die Herberge hält leider nicht, was mein Buch verspricht. "Sehr angenehm" steht da, aber man schickt uns über die Strasse (vermutlich in eine Art Notherberge, weil wir alle ziemlich nass und verdreckt sind) und der Typ, der uns wohl alle für beknackt hält, im Regen herumzustolpern, verkündet ganz stolz, dass man im Parterre die Klamotten trocknen könne. Ich stelle mir irgend ein Gebläse, einen Luftentfeuchter oder so etwas vor, aber da stehen nur zwei Plastikwindelständer. Viel zu wenig für die vielen Leute. Das Gleiche mit den Duschen, wie schon gestern. Da man sich heute die Betten selber auswählen kann, gönne ich mir ein unteres. Klar gibt es ältere Leute, die nun nach oben klettern müssen, aber irgendwie wird man auch ein kleines bisschen egoistisch: wer tagsüber trödelt, muss nehmen was übrig bleibt. Die Wäsche hänge ich an die Federn des Oberbettes, ein Pilgertrick, der noch oft kopiert werden sollte. Aber da die Mehrheit, bzw. die lautesten der Pilger (also die Spanier) sich weigern, die Fenster auch nur einen Zentimeter zu öffnen während der Nacht, sind die Klamotten am nächsten Morgen noch feuchter als vor dem Aufhängen...

Die Leute beginnen sich Sorgen wegen der Verpflegung zu machen. Irgendwer hat aber herausgefunden, dass das einzige Restaurant am Ende des Dorfes ein Pilgermenü anbietet. Die 12 Euro sind das höchste, was ich auf der ganzen Reise für ein Pilgermennü bezahlen sollte, aber das wusste ich ja noch nicht. An diesem Tag hätte ich auch das Doppelte bezahlt. Immerhin gab's einen Dreigänger, man konnte bei jedem Gang zwischen drei Varianten wählen. Und der Wirt trug die Gänge mit Engelsgeduld an jedem Tisch mindestens dreimal vor, bis es jeder verstanden hatte. Wir sind eben noch Anfänger. Später kennen wir die typischen Pilgermenüs auswendig... Der Wein, auch das war noch neu, gehört zum Essen dazu, muss also nicht extra bezahlt werden. Spanien fängt an, mir zu gefallen!

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