29km, 6.5 Std, 5E Herberge, 10E Essen, 5E Frühstück
Im ausgedruckten Unterkunftsverzeichnis der schon mehrfach erwähnten Paderborner Pilgergesellschaft entdecke ich die Notiz, dass der steile, lehmige Hang 2.5km nach Puente bei Nässe schwierig zu erklimmen sei. Ich nutze die Gunst der ersten, noch trockenen Stunde und schaffe den Hügel noch ohne Regen. Er hat es tatsächlich in sich, ich komme ziemlich ins Schnaufen. Kaum oben, werde ich von Regenschauern begrüsst, die den ganzen Morgen anhalten. Stört mich aber nicht, in der beruhigenden Gewissheit, der Strecke für heute ein Schnippchen geschlagen zu haben. Ich fühle mich schon unterwegs als Sieger. Allerdings bekomme ich von der restlichen Etappe nicht mehr so viel mit; ich fürchte mich immer noch vor nassen Füssen, will keine Blasen einfangen, und schaue drum meistens 2 Meter vor mir auf den Boden statt in die hügelige, aber für Schweizer sanfte Landschaft. Der billige 5-Euro-Schirm lässt zwar etwas Regen durch, aber das Konzept überzeugt mich nach wie vor. Trotz steilen Anstiegen und flottem, immer noch zu schnellem Marschieren hält sich die Transpiration in Grenzen. Ich schaffe es sogar, während der letzten Stunde sozusagen laufend trocken zu werden!
Tja, im Trocknen sind das angenehme Wege...
Ich bin den ganzen Tag alleine unterwegs, auch den Jupp sehe ich nicht mehr. Wie ich später erfahre, habe ich beim oben erwähnten ersten Stutz slapstickreife Szenen verpasst: die Leute mussten im Schlamm Ketten bilden, um sich gegenseitig den Hang hochzuziehen! Mit Spannung erwarte ich den berühmten Weinbrunnen des Klosters Irache, ein Werbegag einer Weinfirma: da kommt tatsächlich aus dem rechten Hahn Wasser, aus dem linken Wein! Allerdings ist der Strahl dünner als bei einem Neunzigjährigen, keine Chance, meine Halbliter-PET-Flasche zu füllen. Ehrlich gesagt kein Verlust, den der Stoff ist kein hochstehender Genuss. Ein kurliger älterer Herr hilft mir beim Einfüllen. Ich ordne ihn dem Personal der Weinfirma zu, denn er trägt keinen Rucksack, sondern zieht einen Wagen hinter sich her. Er ist aber, wie sich später herausstellt, ein Pilger. Er wird mein Held sein, drum erwähne ich ihn hier schon. Hier treffe ich die beiden Manuels wieder, in weiblicher Begleitung. Allerdings nur für einen. Der stille Deutsche wird vom umtriebigen Schweizer ausgestochen, scheint ein bisschen das dritte Rad am Velo zu sein und will sich drum mir anhängen.
In Villamayor lasse ich die offizielle Herberge links bzw. rechts liegen. Sie macht mich einfach nicht an, ist mir unsympathisch, der Wirt steht schon gelangweilt davor, beachtet mich nicht einmal. Dieses Bauchgefühl wird mich auch später noch oft leiten, und ich bin damit niemals schlecht gefahren. Abgesehen davon wird sie im Unterkunftsverzeichnis als "Notlösung" beschrieben. Also weiter zur "Hogar Monjardin", ist nur ein paar Meter weiter, aber noch nicht offen. Offiziell jedenfalls nicht. Das Schild sagt, dass erst um 16 Uhr registriert wird, aber der Eingang sei links und: der ist offen. Ich fasse das als Einladung auf, trete ein, niemand da. Etwas unheimlich, aber was soll's: Bett auswählen, Duschen, das Wichtigste waschen und aufhängen. Ich setze mich in Trainerhose vor die Herberge. Andere Pilger erscheinen, zum Teil todmüde, sehen das Schild "Offen ab 16:00" und gehen enttäuscht weiter, weil es erst kurz nach zwei Uhr ist. Hm, sind das unselbständige Leute?!? Einige halten mich für den Hüttenwart, und einigen sage ich auch, dass sie ruhig rein können. Es sei zwar noch niemand vom Personal da, aber es sei ja offen. Ja, und ich gestehe: einigen Typen, die schon grossmäulig daherkommen, sage ich unverfroren, dass die Hütte erst um 16 Uhr aufmacht und sie ziehen tatsächlich weiter. Tja, der Camino bringt auch die dunklen Seiten an den Tag :-) Einige Pilger von der anderen Herberge bestätigen übrigens mein Bauchgefühl: es sei dort tatsächlich schrecklich.
Manuel und Manuel können sich nicht zum Bleiben entschliessen.
Es geht holländisch-locker zu und her, das Pilgerbüro wird dank des mittlerweile eingesetzten Sonnenscheines kurzerhand im Freien installiert, bei Bier und Brötchen. Es entsteht ein bisschen Gartenbeizathmosphäre. Ich tue den Rest des Nachmittages, wie später noch oft, nichts anderes als die Sonne geniessen und den Leuten zuschauen. Ich habe zum Beispiel noch nie soviel Frau auf ein Mal gesehen wie jetzt gerade. Ist bestimmt 188 gross, aber wirkt wie zwei Meter. Eindrücklich. Oder die beiden Manuels treffen ein, machen kurz Rast, mit dem Girl im Schlepptau. Ihnen ist das hier aber verdächtig, riecht nach Sonntagsschule. Das Nachtessen ist dann tatsächlich ganz andächtig, mit gemeinsamem Gebet zu Anfang, und die Herbergsleute suchen ganz verstauensvoll das Gespräch mit uns, wollen wissen, warum wir denn unterwegs seien. Ist mir nicht ganz geheuer; ich habe schliesslich in einem Buch gelesen, dass genau diese Frage Tabu sei. Ich weiche aus und spreche darum das erste Mal französisch mit meinem Gegenüber, einer älteren Pilgerin aus Frankreich, sehr nett und eine Ausnahme: sie spricht langsam, so dass ich eine Chance habe, sie zu verstehen! Es geschehen noch Wunder! Nach dem Essen treffe ich erst den zweiten Schweizer: Peter aus Biel findet, dass ich dem einzigen Glarner, den er kennt, nämlich dem Werner Marti, zum Verwechseln ähnlich sehe. Er sagt mir auch den ganzen Abend und noch am nächsten Tag "Werner".
Genial: keine Leitern für die oberen Betten! Hua!
Ich muss mir mal wieder Gedanken über mein Tempo machen. 6.5 Stunden für die hügeligen knapp 30 km, dass ist zu schnell! Das halte ich nicht durch! Vor allem gibt es keinen Grund: hier treffen auch um 17:30 noch Leute ein und erhalten auch noch ein Bett. Also, warum pressiere ich?
Grossartige Aussicht direkt von der Herberge aus.
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