Donnerstag, 8. Oktober 2009

E22 - Ponferrada

Foncebadon bis Ponferrada (km 577)
28km, 6 Std, 6E Herberge, 6 E Supermarkt

Nach einem Frühstücksbuffet mit Müesli und Kaffee marschiere ich erst gegen 8 Uhr los. Es getraut sich niemand so recht ins Freie, es ist noch dunkel, aber zur allgemeinen Überraschung regnet es nicht mehr, nachdem es die ganze Nacht aufs Dach getrommelt hat. Es ist aber immer noch dunkel und vor allem neblig. Schon gespenstisch, mutterseelenalleine durch diese Suppe zu schleichen. Die wilden Hunde könnten ja immer noch jeden Moment... Meine Sensoren arbeiten auf höchster Stufe, um vor mir ja keinen Pfeil zu verpassen und hinter mir allen Wölfen zuvor zu kommen.


Dieser Stein wurde mir mitgegeben...


...und ich habe ihn auftragsgemäss beim Kreuz deponiert!


Mein heutiger Marsch rechtfertigt sich durch meine Funktion als Auftragspilger: ich habe am Cruz de Ferro einen Stein zu deponieren. Dieser soll Sorgen, Probleme oder anderes Übel symbolisieren, die man hier abladen kann. Auftragspilger deshalb, weil es nicht mein Stein, also nicht mein Unbill ist, den ich hier zurücklasse. Meine Frau hat mir den Stein mitgegeben; welche Altlast ich für sie deponiere, weiss ich nicht. Falls ich es bin, könnte ich ja gleich hier bleiben :-) Wäre ja zu überlegen, aber das Wetter treibt mich nach kurzer Andacht rasch weiter. Ein junger Pilger zeigt da mehr Ernst: er sitzt trotz Regen auf dem Schlammboden, faltet die Hände und scheint alles um sich herum zu vergessen.



Wie man diese Landschaft beschreibt? Alpine Steppe?

Der Nieselregen hört auf, aber hier auf dem Dach des Camino zieht's mal wieder gewaltig. Die Regenhose bricht den Wind, und die relativ schwere Afrika-Jacke zahlt sich wieder eînmal aus: ich brauche darunter nur ein T-Shirt und habe bei flottem Gang trotzdem warm genug. wenn ich mehr Schichten tragen würde (wie es immer empfohlen wird), würden auch mehr Stücke nass. Der Weg verlangt oft artistische Einlagen, wenn man den riesigen Pfützen ausweichen will. Ich gehe deshalb viel auf der parallel dazu verlaufenden Asphaltstrasse. Das Bein ist in Ordnung, aber auf den unwegsamen Abschnitten gehe ich trotzdem sehr vorsichtig, vor allem auf den steilen Abstiegen. Die Landschaft wird entschieden grüner, und mit sinkender Höhe steigt im Gegensatz die Temperatur spürbar, im Viertelstunden-Takt. Ich bin ziemlich langsam unterwegs, aber ich geniesse es: die Sonne zeigt sich wieder, es duftet nach Kräutern, Braunvieh lugt mir erstaunt nach. Ich marschiere durch herausgeputzte Dörfer; welch ein Gegensatz zu den Ruinen der Geisterstätte gestern!



Nur Oberurnen habe ich nicht gefunden...


Manchmal braucht es auch etwas Vertrauen.

Die Herberge 'Nicolas de Flüe' wurde von einem offensichtlich nicht so armen Schweizer gestiftet, also musste ich wohl fast da hin. Ein Heimspiel, sozusagen. Sie liegt übrigens nicht ganz am Weg; beim Dorfeingang geht man geradeaus weiter (oder halb rechts), der Camino geht links weg. Als ich dort um kurz vor 14:00 eintreffe, warten schon viele Pilger auf Einlass. Sie sitzen in einem Innenhof; und jeder sieht, worauf sie warten ausser die zwei Superfranzosen, die auch schon länger in meiner Kadenz unterwegs sind. Diese zwei betreten die Bühne, legen ihren Rucksack neben die Eingangstüre und stellen sich ganz selbstverständlich an die Spitze der wartenden! Ich erwarte ein Aufschrei der übrigen Pilger, aber ich staune: nichts geschieht. Ein Kopfschütteln ist das einzige. Das imponiert mir jetzt aber gewaltig. Ich beschliesse, auch wieder gelassener zu werden, werde aber gleich wieder auf die Probe gestellt: die gemäss Führer "grosszügigste Herberge am Weg" fasst fast 200 Leute, trotzdem wird hier gedrängelt, als ob es um das letzte Bett ginge. Und wieso kriege ich schon wieder so einen fetten, stinkenden Schnarchsack als Bettnachbarn? Der von heute ist sogar stolz darauf, mit seinem Schnarchen drei Ehefrauen in die Flucht geschlagen zu haben. Anfangs ist er ganz freundlich, macht einen auf Kumpel, aber dann wird er plötzlich stocksauer, weil ich bei seinem nun wirklich steinalten Witz halt nicht lache ("Du kannst kein Holländisch? Ist doch einfach, bei uns kann das jedes Kind" - hahaha.



Schmucke Dörfer unterwegs.


Niklaus von Flüe in Ponferrada.

Das Stätdchen ist auch nicht übel!

Überhaupt werde ich langsam zum Aussenseiter. Den Alphatieren, den selbst ernannten Tischgesprächs - Beherrschern, mag ich nicht nach der Pfeife tanzen. Die Spanier sind definitiv zu laut. Die Franzosen bleiben unter sich. Irgendwie finde ich es momentan ungemütlich. Seit León haben wir einen richtigen Massenbetrieb. Ich muss mir was einfallen lassen. Körperlich geht es mir blended. Ich hinke aber absichtlich ein bisschen in den Herbergen umher, weil ich nicht will, dass  mich irgendein vor Pein durchgedrehter Pilger anfällt. Der Stein vor der Herberge sagt, dass es nur noch 202,5 km nach Santiago seien.

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