Auch mir war es also vergönnt, eine Auszeit auf dem Jakobsweg zu nehmen. Ich bin nicht der erste und ich werde auch nicht der letzte sein, der das macht. Man kann sich darum mit Recht fragen, ob's noch einen Pilgerbericht im Netz braucht. Braucht's nicht, aber andererseits sind 800km kein Zuckerschlecken, jedenfalls nicht für mich, und da hat man dann schon das Bedürfnis, das Erlebte festzuhalten und dadurch auch wenigstens teilweise zu verarbeiten.
Bedienung: Damit man das Ganze nicht (wie bei einem Blog sonst üblich) rückwärts lesen muss, kann man in der linken Spalte auf den Monat klicken (die Einträge starten im September) und dort dann die Etappen einzeln anwählen. Also zuerst auf September klicken, dann auf 1 Anlass, 2 Training, 3Rucksack usw., um sich der Reihe nach durch die einzelnen Beiträge zu arbeiten.
Mittwoch, 28. Oktober 2009
Samstag, 24. Oktober 2009
Erkenntnisse
(Wird laufend erweitert. Jedesmal, wenn ich darüber nachdenke, gehen mir neue Lichter auf...)
Ich bin eigentlich nur aufgebrochen, um 800 Kilometer am Stück alleine zu gehen. Erst auf dem Weg selber ist mir aufgefallen, wie einfach (eventuell zu einfach) es ist, Parallelen zwischen dem Jakobsweg und dem "wirklichen Leben", dem eigenen Lebensweg zu sehen.
Man kann mit Fug und Recht einwenden, dass ein Wanderweg in Spanien, wo man mit lauter gleichgesinnten unterwegs ist, alle das gleiche Ziel haben, dass so ein Spaziergang in einem geschützten Raum, in einer Zone mit eigenen Gesetzen stattfindet. Täglich ein paar Kilometer Latschen hat doch nichts mit den Herausforderungen des Lebens zu tun, mit Projektleitung, Kinder grossziehen, Facebook beantworten.
Trotzdem denke ich, dass gerade weil alles so einfach ist, weil man sein Leben auf des Wesentliche herunter bricht, man frei von Störsignalen, frei vom Grundrauschen der täglichen Hektik tiefer in sich hin einhorchen kann. Die simple Symbolik von Pfeil, Brücken, Verzweigungen, Abkürzungen oder Umwegen helfen (mir jedenfalls), viele Verhaltensweisen zu Begründen oder mindestens bildlich darzustellen. In diesem Sinne habe ich nichts Neues über mich herausgefunden, aber ich kann mir und anderen jetzt einiges besser erklären.
Die Liste der Erkenntnisse ist nicht abschliessend, und vieles ist wohl trotzdem nur für mich selber verständlich. Aber ich bin ja auch für mich selber gelaufen.
Also los:
A) Ich muss mein Tempo gehen.
Im Leben wie im Camino gehe ich zwar schneller als die meisten anderen, aber nicht weiter.
Camino: Ich bin früh aufgebrochen, hatte ein hohes Schrittempo, habe kaum Pausen gemacht. Ich komme nur gerne früher an, damit ich mehr Pause habe. Und am Abend habe ich trotzdem immer wieder die gleichen Leute gesehen.
Leben: Wenn ich irgenwo dran bin, lasse ich mich nicht gerne aufhalten oder ablenken. Das erweckt den Eindruck, ich sei schneller unterwegs, ein Streber, der seine Energie verpufft. Viele Leute wollen drum mit mir nichts zu tun haben, weil sie denken, ich hänge sie ab. Das stimmt aber nicht. Vielleicht kann ich ein Theaterstück schneller auswändig, aber ich spiele es ja doch nicht früher als die Mitspieler, und ich spiele doch nur eine Rolle und diese nicht schneller oder lauter.
Wenn ich mein Tempo gehen will oder muss, dann hat das nichts mit Egozentrik oder Egoismus zu tun. Andere profitieren nämlich von meinem (vorübergehenden) Vorsprung. Auf dem Camino habe ich mir etliche Bier damit verdient, weil ich schon an Ort war und die nachfolgenden Pilger mit Tipps betreffend Unterkunft und Restaurants versorgen konnte.
Abgesehen von all dem ist 'alleine gehen' die wirksamste Methode, Verletzungen zu verhüten. Das stand sogar auf einem Plakat in einer Herberge. "How to avoid injuries: 1. walk at your pace, not at the pace of someone else. 2. drink enough water 3. etc" Vor allen medizinischen Ratschlägen stand also der Rat, sein eigenes Tempo einzuschlagen, nicht dem anderer zu folgen...
B) Ich funktioniere gut in einfachen Strukturen.
Ich werde zwar oft als komplizierter Mensch bezeichnet, kann mich aber sehr gut auf ein Minimum reduzieren und mich an einfache Abläufe und Strukturen gewöhnen. Es bereitet mir keine Mühe, jeden Tag aufzustehen, kurz ins Buch zu schauen und los zu marschieren. Ich kann mich sehr lange damit zufrieden geben, immer die gleiche Hose anzuziehen. Ich stehe nicht jeden Morgen auf, um den Sinn des Lebens neu zu ergründen. Ich bin eigentlich ganz einfach gestrickt. Nach getaner Arbeit ein Bier kippen, mit Leuten schwatzen, Schlafen gehen. Viel raffinierter brauche ich es im Grunde genommen nicht.
C) Ich denke trotzdem mit.
Obiges hindert mich trotzdem nicht daran, mitzudenken. Ich vertraute zwar den Pfeilen, bin aber auch abgewichen, wenn es offensichtlicher Unsinn war. Manchmal sah ich von weitem, dass man eigentlich geradeaus durch ein Dorf marschieren kann, aber die Pfeile einem zu den Bars und Souvenirshops lotsen wollen. Das mache ich dann nicht mit.
D) Ich bin kein Herdentier.
Ich habe mich auf dem Marsch nie einer Gruppe angeschlossen. Nicht weil ich Eigenbrötler bin, sondern
wegen Punkt A: ich muss mein Tempo gehen, nicht zuletzt auch meinen Mitwanderern zuliebe. Abgesehen davon denke ich, dass nicht immer alles richtig ist, nur weil es die meisten so machen. Beispielsweise bin ich die erste Etappe nicht wie alle anderen an einem Stück über die höchsten Gipfel, sondern in zwei Teilen der ebeneren Strasse nach gegangen. Es haben mir dann fast alle Recht gegeben. Hinterher natürlich, wie im richtigen Leben...
E) Ich bin beliebt.
Obwohl ich tagsüber meist alleine unterwegs war, musste ich nach ein paar Tagen fast nie mehr alleine zu Abend essen. Wildfremde Leute haben sich zu mir hingesetzt, alte Männer oder hübsche junge Mädels. So unnahbar und abweisend, wie ich in letzter Zeit beschrieben wurde, kann ich also nicht sein. Wer mit sich selber klar kommt, hat auch mit mir kein Problem. Nur die Alphatiere, die notorischen Tischgesprächsbeherrscher hatten keine Freude an mir, weil ich über abgedroschene Witze nicht lache und weil ich mich nicht für ihre Zwecke einspannen lasse. Weder auf dem Camino noch daheim.
F) Ich brauche ein klares Ziel oder gar keines.
Ich marschiere bzw. funktioniere sehr ineffizient, wenn man mir das Ziel, die Vorgaben oder die Richtung immer wechselt. Ich habe gerne, wenn ich weiss, dass ich nach Santiago muss, und wenn Santiago immer im Westen liegt. Ich suche mir den Weg dahin schon, und ich bin auch nicht unflexibel, wenn es geht, den Umständen zu trotzen, um mein Ziel zu erreichen.
G) Wenn der Weg klar ist, brauche ich keinen Pfeil.
Es kam oft vor, dass z.B. auf einer Strasse oder gar Brücke, wo man sowieso nur geradeaus gehen konnte, alle zwei Meter ein dicker gelber Pfeil war. Nach der Brücke, an einer Verzweigung mit mehreren Strassen, da hatte es dann natürlich nichts. Das passiert mir so oft auch im Leben: wenn alles klar ist, deckt man mich mit Ratschlägen ein, die ich nicht brauche. Wenn ich nicht weiter weiss, stehen dieselben Ratschläger vornehm auf die Seite mit dem Hinweis, ich müsse jetzt mal selber denken, schliesslich hätten sie mich jetzt ja andauernd führen müssen. Macht mich rasend.
H) Ich bin in Ordnung.
Ich glaube nicht, dass ich die alleinige Schuld an den letzten Querelen meines Lebens trage. Ich habe mich nur zu oft in falschem Gelände bewegt. Ich war wie ein VW Käfer, den man als Geländewagen einsetzt. Ein gutes, einfaches Auto, das läuft und läuft, aber im Schlamm irgendwann stecken bleiben muss. Es nützt nichts, ihn hereuaszuziehen, ein bisschen putzen, ausbeulen und wieder im Gelände auszusetzen. Er wird wieder stecken bleiben. Der Käfer gehört auf die Strasse.
I) Ich kann meine Kräfte gut einteilen...
...wenn man mich lässt. Ich hatte nur in letzter Zeit gar nicht die Möglichkeit dazu. Ich habe auf dem Camino bewiesen, dass ich Haushalten kann. Ich habe der Versuchung widerstanden, zu weit zu gehen. Ich bin ohne Beschwerden, ohne am Anschlag zu gehen, mit Reserve am Ziel angekommen.
J) Man kann 1000km gehen ohne einen Schritt weiter zu kommen.
Die meisten Leute ändern sich wohl nicht auf dem Camino. Ich denke, dass höchstens die Eigenschaften, die man ohnehin hat, stärker hervor treten. Wenn man die vielen verkrachten Ehepaare und mürrischen Nörgler sieht, fragt man sich schon, was die wohl von dem Ganzen mit nach Hause bringen.
K) Man kann zu lange auf einem Weg sein.
Ich sah so viele Leute, die der Weg egozentrisch gemacht hat, die nur noch sich selber wahrgenommen haben, die rücksichtslos in Zimmer gefurzt und WCs überschwemmt haben. Man muss merken, wann ein Weg zu Ende ist.
Ob meiner zu Ende ist, kann ich noch nicht sagen. Aber ich bin sicher ein gutes Stück darauf gegangen!
Ich bin eigentlich nur aufgebrochen, um 800 Kilometer am Stück alleine zu gehen. Erst auf dem Weg selber ist mir aufgefallen, wie einfach (eventuell zu einfach) es ist, Parallelen zwischen dem Jakobsweg und dem "wirklichen Leben", dem eigenen Lebensweg zu sehen.
Man kann mit Fug und Recht einwenden, dass ein Wanderweg in Spanien, wo man mit lauter gleichgesinnten unterwegs ist, alle das gleiche Ziel haben, dass so ein Spaziergang in einem geschützten Raum, in einer Zone mit eigenen Gesetzen stattfindet. Täglich ein paar Kilometer Latschen hat doch nichts mit den Herausforderungen des Lebens zu tun, mit Projektleitung, Kinder grossziehen, Facebook beantworten.
Trotzdem denke ich, dass gerade weil alles so einfach ist, weil man sein Leben auf des Wesentliche herunter bricht, man frei von Störsignalen, frei vom Grundrauschen der täglichen Hektik tiefer in sich hin einhorchen kann. Die simple Symbolik von Pfeil, Brücken, Verzweigungen, Abkürzungen oder Umwegen helfen (mir jedenfalls), viele Verhaltensweisen zu Begründen oder mindestens bildlich darzustellen. In diesem Sinne habe ich nichts Neues über mich herausgefunden, aber ich kann mir und anderen jetzt einiges besser erklären.
Die Liste der Erkenntnisse ist nicht abschliessend, und vieles ist wohl trotzdem nur für mich selber verständlich. Aber ich bin ja auch für mich selber gelaufen.
Also los:
A) Ich muss mein Tempo gehen.
Im Leben wie im Camino gehe ich zwar schneller als die meisten anderen, aber nicht weiter.
Camino: Ich bin früh aufgebrochen, hatte ein hohes Schrittempo, habe kaum Pausen gemacht. Ich komme nur gerne früher an, damit ich mehr Pause habe. Und am Abend habe ich trotzdem immer wieder die gleichen Leute gesehen.
Leben: Wenn ich irgenwo dran bin, lasse ich mich nicht gerne aufhalten oder ablenken. Das erweckt den Eindruck, ich sei schneller unterwegs, ein Streber, der seine Energie verpufft. Viele Leute wollen drum mit mir nichts zu tun haben, weil sie denken, ich hänge sie ab. Das stimmt aber nicht. Vielleicht kann ich ein Theaterstück schneller auswändig, aber ich spiele es ja doch nicht früher als die Mitspieler, und ich spiele doch nur eine Rolle und diese nicht schneller oder lauter.
Wenn ich mein Tempo gehen will oder muss, dann hat das nichts mit Egozentrik oder Egoismus zu tun. Andere profitieren nämlich von meinem (vorübergehenden) Vorsprung. Auf dem Camino habe ich mir etliche Bier damit verdient, weil ich schon an Ort war und die nachfolgenden Pilger mit Tipps betreffend Unterkunft und Restaurants versorgen konnte.
Abgesehen von all dem ist 'alleine gehen' die wirksamste Methode, Verletzungen zu verhüten. Das stand sogar auf einem Plakat in einer Herberge. "How to avoid injuries: 1. walk at your pace, not at the pace of someone else. 2. drink enough water 3. etc" Vor allen medizinischen Ratschlägen stand also der Rat, sein eigenes Tempo einzuschlagen, nicht dem anderer zu folgen...
B) Ich funktioniere gut in einfachen Strukturen.
Ich werde zwar oft als komplizierter Mensch bezeichnet, kann mich aber sehr gut auf ein Minimum reduzieren und mich an einfache Abläufe und Strukturen gewöhnen. Es bereitet mir keine Mühe, jeden Tag aufzustehen, kurz ins Buch zu schauen und los zu marschieren. Ich kann mich sehr lange damit zufrieden geben, immer die gleiche Hose anzuziehen. Ich stehe nicht jeden Morgen auf, um den Sinn des Lebens neu zu ergründen. Ich bin eigentlich ganz einfach gestrickt. Nach getaner Arbeit ein Bier kippen, mit Leuten schwatzen, Schlafen gehen. Viel raffinierter brauche ich es im Grunde genommen nicht.
C) Ich denke trotzdem mit.
Obiges hindert mich trotzdem nicht daran, mitzudenken. Ich vertraute zwar den Pfeilen, bin aber auch abgewichen, wenn es offensichtlicher Unsinn war. Manchmal sah ich von weitem, dass man eigentlich geradeaus durch ein Dorf marschieren kann, aber die Pfeile einem zu den Bars und Souvenirshops lotsen wollen. Das mache ich dann nicht mit.
D) Ich bin kein Herdentier.
Ich habe mich auf dem Marsch nie einer Gruppe angeschlossen. Nicht weil ich Eigenbrötler bin, sondern
wegen Punkt A: ich muss mein Tempo gehen, nicht zuletzt auch meinen Mitwanderern zuliebe. Abgesehen davon denke ich, dass nicht immer alles richtig ist, nur weil es die meisten so machen. Beispielsweise bin ich die erste Etappe nicht wie alle anderen an einem Stück über die höchsten Gipfel, sondern in zwei Teilen der ebeneren Strasse nach gegangen. Es haben mir dann fast alle Recht gegeben. Hinterher natürlich, wie im richtigen Leben...
E) Ich bin beliebt.
Obwohl ich tagsüber meist alleine unterwegs war, musste ich nach ein paar Tagen fast nie mehr alleine zu Abend essen. Wildfremde Leute haben sich zu mir hingesetzt, alte Männer oder hübsche junge Mädels. So unnahbar und abweisend, wie ich in letzter Zeit beschrieben wurde, kann ich also nicht sein. Wer mit sich selber klar kommt, hat auch mit mir kein Problem. Nur die Alphatiere, die notorischen Tischgesprächsbeherrscher hatten keine Freude an mir, weil ich über abgedroschene Witze nicht lache und weil ich mich nicht für ihre Zwecke einspannen lasse. Weder auf dem Camino noch daheim.
F) Ich brauche ein klares Ziel oder gar keines.
Ich marschiere bzw. funktioniere sehr ineffizient, wenn man mir das Ziel, die Vorgaben oder die Richtung immer wechselt. Ich habe gerne, wenn ich weiss, dass ich nach Santiago muss, und wenn Santiago immer im Westen liegt. Ich suche mir den Weg dahin schon, und ich bin auch nicht unflexibel, wenn es geht, den Umständen zu trotzen, um mein Ziel zu erreichen.
G) Wenn der Weg klar ist, brauche ich keinen Pfeil.
Es kam oft vor, dass z.B. auf einer Strasse oder gar Brücke, wo man sowieso nur geradeaus gehen konnte, alle zwei Meter ein dicker gelber Pfeil war. Nach der Brücke, an einer Verzweigung mit mehreren Strassen, da hatte es dann natürlich nichts. Das passiert mir so oft auch im Leben: wenn alles klar ist, deckt man mich mit Ratschlägen ein, die ich nicht brauche. Wenn ich nicht weiter weiss, stehen dieselben Ratschläger vornehm auf die Seite mit dem Hinweis, ich müsse jetzt mal selber denken, schliesslich hätten sie mich jetzt ja andauernd führen müssen. Macht mich rasend.
H) Ich bin in Ordnung.
Ich glaube nicht, dass ich die alleinige Schuld an den letzten Querelen meines Lebens trage. Ich habe mich nur zu oft in falschem Gelände bewegt. Ich war wie ein VW Käfer, den man als Geländewagen einsetzt. Ein gutes, einfaches Auto, das läuft und läuft, aber im Schlamm irgendwann stecken bleiben muss. Es nützt nichts, ihn hereuaszuziehen, ein bisschen putzen, ausbeulen und wieder im Gelände auszusetzen. Er wird wieder stecken bleiben. Der Käfer gehört auf die Strasse.
I) Ich kann meine Kräfte gut einteilen...
...wenn man mich lässt. Ich hatte nur in letzter Zeit gar nicht die Möglichkeit dazu. Ich habe auf dem Camino bewiesen, dass ich Haushalten kann. Ich habe der Versuchung widerstanden, zu weit zu gehen. Ich bin ohne Beschwerden, ohne am Anschlag zu gehen, mit Reserve am Ziel angekommen.
J) Man kann 1000km gehen ohne einen Schritt weiter zu kommen.
Die meisten Leute ändern sich wohl nicht auf dem Camino. Ich denke, dass höchstens die Eigenschaften, die man ohnehin hat, stärker hervor treten. Wenn man die vielen verkrachten Ehepaare und mürrischen Nörgler sieht, fragt man sich schon, was die wohl von dem Ganzen mit nach Hause bringen.
K) Man kann zu lange auf einem Weg sein.
Ich sah so viele Leute, die der Weg egozentrisch gemacht hat, die nur noch sich selber wahrgenommen haben, die rücksichtslos in Zimmer gefurzt und WCs überschwemmt haben. Man muss merken, wann ein Weg zu Ende ist.
Ob meiner zu Ende ist, kann ich noch nicht sagen. Aber ich bin sicher ein gutes Stück darauf gegangen!
Montag, 19. Oktober 2009
Fisterra
Der Jakobsweg führt nach Santiago noch ans "Ende der Welt", was aber nochmals drei Tage in Anspruch nehmen würde, sind es doch immer noch gut 90 Kilometer. Da tue ich mir nicht mehr an, sondern lasse mich im Bus dahin chauffieren. Dazu kaufe ich an der Busstation das Ticket für 21 Euro. Bisschen teuer, aber besser als laufen... Dieser Meinung sind noch viele andere Pilger; der Bus wird fast voll.
In Fisterra oder Finisterra (die Verwendung beider Namen verwirrt viele Pilger) ergeht es mir ähnlich wie in Santiago: wo denn jetzt das Ende der Welt tatsächlich ist, muss man selber herausfinden. Auch hier ist keine Tafel, kein finaler Pfeil zu finden. Ich entdecke aber eine Stelle auf dem Klippe, die ganz von Russ geschwärzt ist. Da werden sicher nach alter Tradition Kleider verbrannt, reime ich mir zusammen, um mir wenigstens das Gefühl zu geben, am Ende angekommen zu sein. Nach einem wildromantischen Picknick direkt neben einem ins Meer führenden Abwasserrohr mache ich mich auf Muschelsuche. Die Muscheln sollen früher nicht der Beweis, aber so doch ein Zeichen gewesen sein, dass der Pilger sein Ziel erreicht hat. Fast eine Stunde verbringe ich auf der Jagd nach Schalentieren, aber die Ausbeute ist sehr mager. Es ist offenbar nicht mehr Saison, oder die Pilgerkollegen vor mir haben schon alles abgegrast. Ich habe aber eine der Besten Aller Ehefrauen versprochen, und so geht es mir wie dem Fischer, der nichts fängt: ich kaufe in einem Souvenirshop ein schön grosses, echtes Exemplar, dass man sehr gut für Shell-Werbung einsetzen könnte.
Der Heimweg mit Bus offenbart wieder einmal, dass der Camino die Leute nicht soooo heftig verändert, wie das oft romantisiert dargestellt wird. Wir werden nämlich mitten auf einem Hafengelände aus dem Bus gejagt, natürlich nur auf Spanisch, und wissen im ersten Moment nicht so recht, was jetzt geschieht. Mich schockt das nicht mehr, ich bin einen ganzen Monat unterwegs gewesen, also was soll's, wird schon klappen. Aber die meisten deutschen Mitreisenden finden das wider mal einen guten Grund, so richtig abzulästern. Die Leute waren also 800 und mehr Kilometer als "dankbare Pilger" unterwegs und haben jetzt ein Problem damit, dass sie 10 Minuten auf einen Anschlussbus warten müssen. Frei nach Polo Hofer kann man wohl 100 Kilometer weit gehen und doch keinen Schritt weiterkommen... Die Frau des mürrischen Dauernörglers erklärt mir, dass ihr das Land als Ganzes schon überhaupt gar nicht gefalle. Wahrscheinlich hätte es ihr auch besser gefallen, wenn sie nicht mit diesem Profi-Stänkerer unterwegs wäre.
Zurück in der Stadt treffe ich auf Ingo und Ingrid, und da macht es bei mir klick, dass der blonde Engel im Bus wohl die Astrid gewesen sein muss, von der die beiden bzw vor allem der Ingo :-) mir andauernd vorschwärmen. Er will mich irgendwie mit ihr verbandeln und fragt, ob ich mich den mit ihr unterhalten habe. He Ingo! Überleg mal! Möglicherweise sprechen Prinzessinnen mit Fröschen, aber das ist eine Göttin!
Die letzten beiden Tage lasse ich an mir vorbeiziehen in einem Gemisch aus Schoppingrausch, Rückzugsvorbereitungen, Abhängen im "Cafe Casino" und etwas Kulturbeflissenheit. Es dauert nämlich relativ lange, bis ich aus meiner Lethargie erwache und merke, dass Santiago nicht einfach nur das letzte Etappenziel ist, sondern auch einiges zu bieten hat. Ich besuche sogar das Pilgermuseum und das Galizische Völkerkundemuseum. Diese beiden letzten Tage hätte es einerseits nicht mehr gebraucht, andererseits muss ich so nicht befürchten, etwas verpasst zu haben und kann beruhigt sagen: es reicht! Ich will nach Hause!
Picknick am Ender der Welt.
In Fisterra oder Finisterra (die Verwendung beider Namen verwirrt viele Pilger) ergeht es mir ähnlich wie in Santiago: wo denn jetzt das Ende der Welt tatsächlich ist, muss man selber herausfinden. Auch hier ist keine Tafel, kein finaler Pfeil zu finden. Ich entdecke aber eine Stelle auf dem Klippe, die ganz von Russ geschwärzt ist. Da werden sicher nach alter Tradition Kleider verbrannt, reime ich mir zusammen, um mir wenigstens das Gefühl zu geben, am Ende angekommen zu sein. Nach einem wildromantischen Picknick direkt neben einem ins Meer führenden Abwasserrohr mache ich mich auf Muschelsuche. Die Muscheln sollen früher nicht der Beweis, aber so doch ein Zeichen gewesen sein, dass der Pilger sein Ziel erreicht hat. Fast eine Stunde verbringe ich auf der Jagd nach Schalentieren, aber die Ausbeute ist sehr mager. Es ist offenbar nicht mehr Saison, oder die Pilgerkollegen vor mir haben schon alles abgegrast. Ich habe aber eine der Besten Aller Ehefrauen versprochen, und so geht es mir wie dem Fischer, der nichts fängt: ich kaufe in einem Souvenirshop ein schön grosses, echtes Exemplar, dass man sehr gut für Shell-Werbung einsetzen könnte.
Die letzten mickriegen Müschelchen, die sich verzweifelt an den Fels klammern.
Der Heimweg mit Bus offenbart wieder einmal, dass der Camino die Leute nicht soooo heftig verändert, wie das oft romantisiert dargestellt wird. Wir werden nämlich mitten auf einem Hafengelände aus dem Bus gejagt, natürlich nur auf Spanisch, und wissen im ersten Moment nicht so recht, was jetzt geschieht. Mich schockt das nicht mehr, ich bin einen ganzen Monat unterwegs gewesen, also was soll's, wird schon klappen. Aber die meisten deutschen Mitreisenden finden das wider mal einen guten Grund, so richtig abzulästern. Die Leute waren also 800 und mehr Kilometer als "dankbare Pilger" unterwegs und haben jetzt ein Problem damit, dass sie 10 Minuten auf einen Anschlussbus warten müssen. Frei nach Polo Hofer kann man wohl 100 Kilometer weit gehen und doch keinen Schritt weiterkommen... Die Frau des mürrischen Dauernörglers erklärt mir, dass ihr das Land als Ganzes schon überhaupt gar nicht gefalle. Wahrscheinlich hätte es ihr auch besser gefallen, wenn sie nicht mit diesem Profi-Stänkerer unterwegs wäre.
Busfahrt von Finisterra zurück nach Santiago.
Zurück in der Stadt treffe ich auf Ingo und Ingrid, und da macht es bei mir klick, dass der blonde Engel im Bus wohl die Astrid gewesen sein muss, von der die beiden bzw vor allem der Ingo :-) mir andauernd vorschwärmen. Er will mich irgendwie mit ihr verbandeln und fragt, ob ich mich den mit ihr unterhalten habe. He Ingo! Überleg mal! Möglicherweise sprechen Prinzessinnen mit Fröschen, aber das ist eine Göttin!
Verwirrende Drei(!)fachtreppe im Völkerkundemuseum.
Die letzten beiden Tage lasse ich an mir vorbeiziehen in einem Gemisch aus Schoppingrausch, Rückzugsvorbereitungen, Abhängen im "Cafe Casino" und etwas Kulturbeflissenheit. Es dauert nämlich relativ lange, bis ich aus meiner Lethargie erwache und merke, dass Santiago nicht einfach nur das letzte Etappenziel ist, sondern auch einiges zu bieten hat. Ich besuche sogar das Pilgermuseum und das Galizische Völkerkundemuseum. Diese beiden letzten Tage hätte es einerseits nicht mehr gebraucht, andererseits muss ich so nicht befürchten, etwas verpasst zu haben und kann beruhigt sagen: es reicht! Ich will nach Hause!
Ich werde wohl das Pilgerdasein noch öfters vermissen...
Sonntag, 18. Oktober 2009
Etappenübersicht
(Bild anklicken zum Vergrössern)
Diese Angaben sind meist aus meinem Wanderführer abgeleitet, zum Teil aber auch aus den Kilometerangaben auf Wegtafeln oder Kilometertafeln. So oder so sind die Zahlen mit Vorsicht zu geniessen, da der Weg Jahr für Jahr umgelegt wird, hauptsächlich aus Verkehrstechnischen Gründen. Nach meiner Einschätzung werden die Distanzen dadurch in der Regel länger, nicht kürzer: neue Autobahnkreuzungen müssen aufwändig umgangen, neue Fabrikgelände gemieden werden. Ganz, ganz selten wird mal irgendwo eine Ecke abgeschnitten, weil der neue Landeigentümer die Pilger jetzt doch über seinen Boden ziehen lässt.
Samstag, 17. Oktober 2009
E31 - Santiago de Compostela
Pedrouzo (Arca) bis Santiago de Compostela (km 787)
20 km, 4 Std, Pension 120E für 5 Nächte
Mit Jupp, den gestern wieder einmal getroffen habe, hätte ich eigentlich für heute Morgen abgemacht. Pünktlich um 8 stehe ich am Herbergseingang, aber da ist niemand. Wenn ich mit jemandem das letzte Stück gegangen wäre, dann mit ihm. Aber es ist niemand da. Das gibt's ja nicht; ich bin der letzte? Na ja, vielleicht besser so; Jupp erzählte mir nämlich, dass er auf den letzten Etappen in eine Gruppe geraten sei, von der er sich nicht mehr zu lösen getraue. Aber eigentlich nerve es ihn, weil da sei so ein ewiger Nörgler dabei, und eine anderer wolle immer haargenau wissen, wo auf der Wanderkarte man sich gerade befinde und halte dadurch die ganze Gruppe auf. Sie seien deshalb öfters nach Abends um 5 angekommen und drum auch vor vollen Herbergen gestanden. Ich frage mich nur, warum sich der gute Jupp das antut? Bei seiner Kondition wäre es doch ein leichtes, die Typen einfach stehen zu lassen? Er bestätigt mir immerhin, dass Frühpilgern seine Berechtigung hat: wenn es nicht voll war, dann war es doch meist eben komplett verdreckt oder es gab nur noch die schlechten Betten neben der WC-Türe.
Heute bremst mich gar nichts mehr. Ich marschiere nicht, ich renne. Ich bin wie ein Komet, der von der Schwerkraft eines Planeten eingefangen wurde und nun immer schneller auf diesen zustürzt. Ich stelle mir den bombastischen Empfang vor, den man in Santiago für mich vorbereitet hat. Ich male mir aus, wie sich wildfremde Pilger vor Glückseligkeit um den Hals fallen und sich verküssen. Ich muss dann halt einfach aufpassen, neben wem ich stehe, so wegen dem Umarmen und so. Vieleicht treffe ich ja die herzige, kleine... äh... aber erst mal will die Kathedrale überhaupt gefunden werden. Man sähe sie schon vom 'monte do gozo', dem 'Berg der Freude' aus. Nur ich sehe natürlich wie immer nichts, also renne ich weiter. In Santiago selbst ist der Weg gut beschildert, aber sicherheitshalber frage ich, mittlerweile ganz mutig auf Spanisch, nach dem richtigen Weg. Dabei geht es mir weniger um die Richtungsangabe; ich möchte viel mehr zeigen: "He, Leute, ich bin hier, ich hab's geschafft!" Völlig blödsinnig, denn die sehen hier täglich hunderte, monatlich tausende und jährlich hunderttausend Pilger, die 'es' geschafft haben!
Dementsprechend (und wie ehrlicherweise zu erwarten) fiel auch der glorreiche Einmarsch sehr unspektakulär aus. Ich hätte ja mindestens einen dicken, gelben Pfeil, eine finale Linie am Boden oder irgend eine Tafel, meinetwegen auf Spanisch und galizisch erwartet, die dem Pilger mitteilt, dass jetzt fertig ist mit marschieren. "You are here!" oder "Suche keine Pfeile mehr, denk wieder selbst" oder "Das Leben geht trotzdem weiter!", wie auch immer, aber da war nichts. Irgendwie muss man selber merken, dass man als Pilger stilgerecht nicht den Haupt-, sondern den Nordeingang nimmt, was ich auch tue. Das Haus ist zum Bersten voll. Ich platze mitten in die Messe, und was geschieht da? Nichts. Die machen einfach weiter, wie wenn nichts geschehen wäre! Dabei bin ich angekommen! Ich habe unterwegs noch gewitzelt, dass wir wohl kaum mit Händedruck und "well done!" einzeln empfangen werden, aber das hier stimmt mich schon ein bisschen depressiv. Wenn ich doch wenigstens ein bisschen kaputt wäre! Ob ich wohl die Pilger beneiden soll, die sich unter Qualen hierher geschleppt haben? Die fühlen sich jetzt sicher besser als ich. Mir ist es entschieden zu gut gegangen...
Vom Pilgerbüro erwarte ich schon gar nichts mehr und werde darum auch nicht enttäuscht. Ich muss nicht mal Schlange stehen, sondern halte innert fünf Minuten meine Absolution in den Händen. Mein credential (Pilgerpass) scheint ausreichend Beweis für meine Compostela-Würdigkeit zu sein. Die junge Dame fragt mich nur kurz, ohne in meine Augen zu schauen, ob ich denn alles zu Fuss zurückgelegt habe, was ich wahrheitsgemäss und guten Gewissens bejahe. Dass ich sogar mein Gepäck jeden Meter getragen habe, interessiert sie nicht. Ich schreibe mich in eine Liste ein, wo ich bei den Beweggründen zur Wanderung nur noch auswählen kann zwischen "religiös" oder "spirituell und religiös". Komisch, am Start hatte ich doch eine viel grössere Auswahl!? Es schrumpfen also nicht nur Gepäck und Komfortansprüche, offenbar wir auch der moralische Unterbau komprimiert. Mit spirituell hätte ich mich, wie am Anfang der Reise beschrieben, noch anfreunden können, aber ich verspüre jetzt keine Lust, mit der sowieso bald an Gleichgültigkeit sterbenden Frau zu verhandeln, ob ich das 'und' in ein 'oder' umwandeln dürfe. Ich habe doch Grosszügigkeit gelernt! Wenn's für mich gilt. ist es in Ordnung! Ich kriege als Dank für meine Zurückhaltung einen Computerausdruck überreicht, in dem mit etwas gutem Willen mein handschriftlich eingetragener Name zu finden ist. Die Dame werkelt unbeirrt an ihrem PC weiter. Jetzt druckt sie sicher eine Hotelliste für mich aus oder sucht Verkehrsverbindungen in die Schweiz. Nichts dergleichen. Nach einer Minute frage ich dann mal nach: "That's it?" "Yes, that's it!" War wohl doch gut, dass ich sowohl Hotel als auch Busfahrt unterwegs selber organisiert habe. Sehr hilfreich scheinen die hier tatsächlich nicht zu sein.
Am Sonntag besuche ich nochmals die Pilgermesse, in die ich gestern schon aus Versehen reingeschneit bin. Das Haus ist überfüllt; zusätzlich zu den Pilgern strömen heute ja auch noch die normalen Kirchgänger herein. Die heutige Messe ist sozusagen meine, das heisst, meine Ankunft ist gestern registriert worden und wird heute in der Kathedrale öffentlich verlesen. Natürlich nicht namentlich, sondern gruppenweise nach Nationen geordnet. Der Herr am Mikrophon nuschelt aber so unverständlich, dass ich schon sehr genau hinhören muss. Wie es scheint, bin ich gestern der einzige angekommene Schweizer gewesen. Bei der Menge Leute in der Kirche kommt keine feierliche Stimmung auf, aber ich mache alles mit bis zum Schluss. Das riesige Weihrauchfass wird an einem Seilzug so heftig hin und her geschwenkt, dass ich froh bin, in einer der hinteren Bänke zu sitzen. Dem silbernen Schrein im Grab des Apostels statte ich einen ganz kurzen Besuch ab, und selbst die Statue umarme ich. Der gestrenge Blick desSicherheitsbeamten nimmt dem Moment etwas die Intimität.
Alles erscheint mir überfüllt, die Kathedrale, die Bars, die Geschäfte, und vor allem viel zu laut. Ich fühle mich unter den vielen Leuten einsamer als alleine auf der Wanderung! Ziellos streune ich auf dem Kirchenvorplatz herum, in der Hoffnung, bekannte Gesichter zu sehen. Tatsächlich: Sean, der staunende Australier, ist wieder einmal total verblüfft, wo ich den wohl die schicke Kartonrolle herhabe, in der ich meine Compostela herumtrage. Nun, gleich neben dem Eingang zum Pilgerbüro kann man sich das Dokument laminieren lassen und bzw. oder eben stilgerecht zwecks sichererem in eine Rolle verpacken. Sean hat leider keine Zeit für mich: Ein ungeschriebenes Gesetz scheint zu sein, dass man mit in Santiago den Leuten zusammen bleibt, mit denen man die letzte Etappe gemacht hat. Pech für, ich bin dann halt wieder mal alleine. Jupp, mein Marathonkollege, hat sich auch nicht aus seiner Gruppe lösen können. Er begrüsst mich zwar herzlich, aber als seine Herde mir einfach den Rücken zudreht, entscheidet er sich gegen mich und ist weg. Gesehen habe ich. neben Sean und Jupp, das fesche Bayernmädel, Ingo und Ingrid und wahrscheinlich Astrid, das junge Paar aus Irland, die beiden Superfranzosen, den Mann mit den MTB-Schuhen, von Weitem den Manuel (D) und glücklicherweise die Trina, die es auch irgendwie hierher geschafft hat.
Ich irre ziellos in Santiago herum, laufe in Kreisen, manchmal drei, vier Stunden am Tag, aber kaum einen Kilometer Luftlinie vom Hotel entfernt. Hierher zu kommen war für mich definitiv einfacher als jetzt tatsächlich hier zu sein. Ich habe gelacht, als jemand erzählte, es gäbe hier ein Art Auffangstation für Pilger, die buchstäblich nicht mehr weiter wissen. Das Lachen ist mir vergangen, ich fühle mich auch nach ein paar Tagen verloren und einsam. Ich habe keine Tagesstruktur mehr, keine Pfeile denen ich folgen kann, kein Ziel, dass unverrückbar im Westen liegt. Und alles wird komplizierter. Die letzten paar Wochen konnte ich einfach an den Wegrand pinkeln, brauchte nicht mal einen Baum, aber in der Stadt geht das weniger gut. Da muss ich mir aseos oder servicios suchen. Und die sind meistens in Restaurants...
20 km, 4 Std, Pension 120E für 5 Nächte
Mit Jupp, den gestern wieder einmal getroffen habe, hätte ich eigentlich für heute Morgen abgemacht. Pünktlich um 8 stehe ich am Herbergseingang, aber da ist niemand. Wenn ich mit jemandem das letzte Stück gegangen wäre, dann mit ihm. Aber es ist niemand da. Das gibt's ja nicht; ich bin der letzte? Na ja, vielleicht besser so; Jupp erzählte mir nämlich, dass er auf den letzten Etappen in eine Gruppe geraten sei, von der er sich nicht mehr zu lösen getraue. Aber eigentlich nerve es ihn, weil da sei so ein ewiger Nörgler dabei, und eine anderer wolle immer haargenau wissen, wo auf der Wanderkarte man sich gerade befinde und halte dadurch die ganze Gruppe auf. Sie seien deshalb öfters nach Abends um 5 angekommen und drum auch vor vollen Herbergen gestanden. Ich frage mich nur, warum sich der gute Jupp das antut? Bei seiner Kondition wäre es doch ein leichtes, die Typen einfach stehen zu lassen? Er bestätigt mir immerhin, dass Frühpilgern seine Berechtigung hat: wenn es nicht voll war, dann war es doch meist eben komplett verdreckt oder es gab nur noch die schlechten Betten neben der WC-Türe.
Auch vor Santiago bin ich nicht der einzige Wanderer.
Heute bremst mich gar nichts mehr. Ich marschiere nicht, ich renne. Ich bin wie ein Komet, der von der Schwerkraft eines Planeten eingefangen wurde und nun immer schneller auf diesen zustürzt. Ich stelle mir den bombastischen Empfang vor, den man in Santiago für mich vorbereitet hat. Ich male mir aus, wie sich wildfremde Pilger vor Glückseligkeit um den Hals fallen und sich verküssen. Ich muss dann halt einfach aufpassen, neben wem ich stehe, so wegen dem Umarmen und so. Vieleicht treffe ich ja die herzige, kleine... äh... aber erst mal will die Kathedrale überhaupt gefunden werden. Man sähe sie schon vom 'monte do gozo', dem 'Berg der Freude' aus. Nur ich sehe natürlich wie immer nichts, also renne ich weiter. In Santiago selbst ist der Weg gut beschildert, aber sicherheitshalber frage ich, mittlerweile ganz mutig auf Spanisch, nach dem richtigen Weg. Dabei geht es mir weniger um die Richtungsangabe; ich möchte viel mehr zeigen: "He, Leute, ich bin hier, ich hab's geschafft!" Völlig blödsinnig, denn die sehen hier täglich hunderte, monatlich tausende und jährlich hunderttausend Pilger, die 'es' geschafft haben!
Kurz vor dem Ziel: die Gassen werden enger.
Stolzer Pilger vor der Kathedrale. Auch hier nicht der einzige...
Dementsprechend (und wie ehrlicherweise zu erwarten) fiel auch der glorreiche Einmarsch sehr unspektakulär aus. Ich hätte ja mindestens einen dicken, gelben Pfeil, eine finale Linie am Boden oder irgend eine Tafel, meinetwegen auf Spanisch und galizisch erwartet, die dem Pilger mitteilt, dass jetzt fertig ist mit marschieren. "You are here!" oder "Suche keine Pfeile mehr, denk wieder selbst" oder "Das Leben geht trotzdem weiter!", wie auch immer, aber da war nichts. Irgendwie muss man selber merken, dass man als Pilger stilgerecht nicht den Haupt-, sondern den Nordeingang nimmt, was ich auch tue. Das Haus ist zum Bersten voll. Ich platze mitten in die Messe, und was geschieht da? Nichts. Die machen einfach weiter, wie wenn nichts geschehen wäre! Dabei bin ich angekommen! Ich habe unterwegs noch gewitzelt, dass wir wohl kaum mit Händedruck und "well done!" einzeln empfangen werden, aber das hier stimmt mich schon ein bisschen depressiv. Wenn ich doch wenigstens ein bisschen kaputt wäre! Ob ich wohl die Pilger beneiden soll, die sich unter Qualen hierher geschleppt haben? Die fühlen sich jetzt sicher besser als ich. Mir ist es entschieden zu gut gegangen...
Die Hälfte meiner gesammelten Stempel im Pilgerpass, dem credential
Vom Pilgerbüro erwarte ich schon gar nichts mehr und werde darum auch nicht enttäuscht. Ich muss nicht mal Schlange stehen, sondern halte innert fünf Minuten meine Absolution in den Händen. Mein credential (Pilgerpass) scheint ausreichend Beweis für meine Compostela-Würdigkeit zu sein. Die junge Dame fragt mich nur kurz, ohne in meine Augen zu schauen, ob ich denn alles zu Fuss zurückgelegt habe, was ich wahrheitsgemäss und guten Gewissens bejahe. Dass ich sogar mein Gepäck jeden Meter getragen habe, interessiert sie nicht. Ich schreibe mich in eine Liste ein, wo ich bei den Beweggründen zur Wanderung nur noch auswählen kann zwischen "religiös" oder "spirituell und religiös". Komisch, am Start hatte ich doch eine viel grössere Auswahl!? Es schrumpfen also nicht nur Gepäck und Komfortansprüche, offenbar wir auch der moralische Unterbau komprimiert. Mit spirituell hätte ich mich, wie am Anfang der Reise beschrieben, noch anfreunden können, aber ich verspüre jetzt keine Lust, mit der sowieso bald an Gleichgültigkeit sterbenden Frau zu verhandeln, ob ich das 'und' in ein 'oder' umwandeln dürfe. Ich habe doch Grosszügigkeit gelernt! Wenn's für mich gilt. ist es in Ordnung! Ich kriege als Dank für meine Zurückhaltung einen Computerausdruck überreicht, in dem mit etwas gutem Willen mein handschriftlich eingetragener Name zu finden ist. Die Dame werkelt unbeirrt an ihrem PC weiter. Jetzt druckt sie sicher eine Hotelliste für mich aus oder sucht Verkehrsverbindungen in die Schweiz. Nichts dergleichen. Nach einer Minute frage ich dann mal nach: "That's it?" "Yes, that's it!" War wohl doch gut, dass ich sowohl Hotel als auch Busfahrt unterwegs selber organisiert habe. Sehr hilfreich scheinen die hier tatsächlich nicht zu sein.
Dieses Dokument würde mich von allen Sünden befreien. Wenn ich welche hätte...
Am Sonntag besuche ich nochmals die Pilgermesse, in die ich gestern schon aus Versehen reingeschneit bin. Das Haus ist überfüllt; zusätzlich zu den Pilgern strömen heute ja auch noch die normalen Kirchgänger herein. Die heutige Messe ist sozusagen meine, das heisst, meine Ankunft ist gestern registriert worden und wird heute in der Kathedrale öffentlich verlesen. Natürlich nicht namentlich, sondern gruppenweise nach Nationen geordnet. Der Herr am Mikrophon nuschelt aber so unverständlich, dass ich schon sehr genau hinhören muss. Wie es scheint, bin ich gestern der einzige angekommene Schweizer gewesen. Bei der Menge Leute in der Kirche kommt keine feierliche Stimmung auf, aber ich mache alles mit bis zum Schluss. Das riesige Weihrauchfass wird an einem Seilzug so heftig hin und her geschwenkt, dass ich froh bin, in einer der hinteren Bänke zu sitzen. Dem silbernen Schrein im Grab des Apostels statte ich einen ganz kurzen Besuch ab, und selbst die Statue umarme ich. Der gestrenge Blick desSicherheitsbeamten nimmt dem Moment etwas die Intimität.
Recht viel Volk. Wie das wohl zur Hochsaison zu und her geht?
...auch beim Grab des Apostels.
Alles erscheint mir überfüllt, die Kathedrale, die Bars, die Geschäfte, und vor allem viel zu laut. Ich fühle mich unter den vielen Leuten einsamer als alleine auf der Wanderung! Ziellos streune ich auf dem Kirchenvorplatz herum, in der Hoffnung, bekannte Gesichter zu sehen. Tatsächlich: Sean, der staunende Australier, ist wieder einmal total verblüfft, wo ich den wohl die schicke Kartonrolle herhabe, in der ich meine Compostela herumtrage. Nun, gleich neben dem Eingang zum Pilgerbüro kann man sich das Dokument laminieren lassen und bzw. oder eben stilgerecht zwecks sichererem in eine Rolle verpacken. Sean hat leider keine Zeit für mich: Ein ungeschriebenes Gesetz scheint zu sein, dass man mit in Santiago den Leuten zusammen bleibt, mit denen man die letzte Etappe gemacht hat. Pech für, ich bin dann halt wieder mal alleine. Jupp, mein Marathonkollege, hat sich auch nicht aus seiner Gruppe lösen können. Er begrüsst mich zwar herzlich, aber als seine Herde mir einfach den Rücken zudreht, entscheidet er sich gegen mich und ist weg. Gesehen habe ich. neben Sean und Jupp, das fesche Bayernmädel, Ingo und Ingrid und wahrscheinlich Astrid, das junge Paar aus Irland, die beiden Superfranzosen, den Mann mit den MTB-Schuhen, von Weitem den Manuel (D) und glücklicherweise die Trina, die es auch irgendwie hierher geschafft hat.
Mein Schlafzimmer in Santiago...
...und mein Wohnzimmer: das 'Cafe Casino'.
Ich irre ziellos in Santiago herum, laufe in Kreisen, manchmal drei, vier Stunden am Tag, aber kaum einen Kilometer Luftlinie vom Hotel entfernt. Hierher zu kommen war für mich definitiv einfacher als jetzt tatsächlich hier zu sein. Ich habe gelacht, als jemand erzählte, es gäbe hier ein Art Auffangstation für Pilger, die buchstäblich nicht mehr weiter wissen. Das Lachen ist mir vergangen, ich fühle mich auch nach ein paar Tagen verloren und einsam. Ich habe keine Tagesstruktur mehr, keine Pfeile denen ich folgen kann, kein Ziel, dass unverrückbar im Westen liegt. Und alles wird komplizierter. Die letzten paar Wochen konnte ich einfach an den Wegrand pinkeln, brauchte nicht mal einen Baum, aber in der Stadt geht das weniger gut. Da muss ich mir aseos oder servicios suchen. Und die sind meistens in Restaurants...
Freitag, 16. Oktober 2009
E30 - Pedrouzo (Arca)
Arzua bis Pedrouzo - Arca (km 767)
20 km, 4 Std, 10 E Herberge, 9Euro Essen
Die letzte Herberge vor Santiago. Ich bin ein fauler Hund: ich könnte nämlich einfach durchlaufen, würde um 17.00 Uhr in Santiago ankommen und hätte es hinter mir. Aber ich will es ja gar nicht hinter mir haben.
Die Wanderung vergeht wie im Flug; ich komme nicht einmal zum Fotografieren, so schnell bin ich unterwegs. Ich bin in Glücksstimmung. Ich bin beschwingt, fröhlich, das Bein schmerzt fast gar nicht. Klar ist es schade, dass es bald vorbei ist, trotzdem überwiegt der Stolz, etwas geschafft zu haben, das zwar in diesem Jahr etwa 120'000 Menschen auch gemacht haben, aber für den Rest der Weltbevölkerung genau so unvorstellbar ist, wie es für mich vor 6 Wochen noch war. Was kann jetzt noch schiefgehen? Nichts. Im schlimmsten Fall würde ich für die letzten nicht mal mehr 40 Kilometer ein Taxi nehmen, Compostela hin oder her! Ich gehe zwar schnell, mache aber entgegen meiner bisherigen Gewohnheit viele kurze Pausen und es wird mir dabei wieder bewusst, wie viele Sonnenaufgänge ich wohl unterwegs verpasst habe. Ich hätte wohl öfter mal stehenbleiben und zurückblicken sollen, es lohnt sich wirklich. Es sind wieder viele Wanderer unterwegs, alte, dicke Menschen, die nur einzelne Etappen gehen, in Herden von 20 bis 30 Leuten. An den engsten Stellen bleiben sie stehen und verstopfen die Bahn für schnelle Leute wie mich. Ich muss zwischendurch auf die Strasse ausweichen und fast rennen, um sie vernünftig überholen zu können. Und mir dann jedes Mal den Kommentar der ganzen Gruppe anhören.
Die Herberge ist nicht gerade billig: 10 Euro zahle ich für die letzte Übernachtung auf dem Weg, genau gleich viel, wie ich für die erste Übernachtung bezahlt habe. Und noch ein Zufall: ich werde morgen am 17. Oktober ankommen (dessen bin ich nun mehr als überzeugt) und ich bin am 17. September los gelaufen. Ein Hauch von Luxus empfängt mich im Schlafsaal: sehr geräumig das Ganze, und es gibt sogar einen verglasten, Licht durchfluteten Innenhof mit Springbrunnen! Im ersten Moment will ich mein Lager dort aufschlagen, verziehe mich dann aber in eine andere Ecke, weil ich sonst bei dem Geplätscher noch öfters aufs Klo müsste als sonst schon. Es vergeht nämlich nach wie vor keine Nacht, ohne dass ich nicht mindestens ein halbes Dutzend Mal aufstehen muss. Wahrscheinlich gibt es Leute, die darum schauen, dass sie nicht mit mir in einer Herberge sind, so wie versucht habe, Leute abzuhängen, weil sie schnarchen. A propos Geplätscher: das wirklich nervige in dieser Herberge ist das Sopransax-Gedudel, dass ohne Unterbruch von der Decke rieselt.
Am Herbergsempfang werden bereits Stadtpläne von Santiago verteilt! Ich schnappe mir einen, setzte mich damit an die Sonne und beginne, die Strassennamen zu lernen... Santiago, ich komme!!!
20 km, 4 Std, 10 E Herberge, 9Euro Essen
Die letzte Herberge vor Santiago. Ich bin ein fauler Hund: ich könnte nämlich einfach durchlaufen, würde um 17.00 Uhr in Santiago ankommen und hätte es hinter mir. Aber ich will es ja gar nicht hinter mir haben.
Die Wanderung vergeht wie im Flug; ich komme nicht einmal zum Fotografieren, so schnell bin ich unterwegs. Ich bin in Glücksstimmung. Ich bin beschwingt, fröhlich, das Bein schmerzt fast gar nicht. Klar ist es schade, dass es bald vorbei ist, trotzdem überwiegt der Stolz, etwas geschafft zu haben, das zwar in diesem Jahr etwa 120'000 Menschen auch gemacht haben, aber für den Rest der Weltbevölkerung genau so unvorstellbar ist, wie es für mich vor 6 Wochen noch war. Was kann jetzt noch schiefgehen? Nichts. Im schlimmsten Fall würde ich für die letzten nicht mal mehr 40 Kilometer ein Taxi nehmen, Compostela hin oder her! Ich gehe zwar schnell, mache aber entgegen meiner bisherigen Gewohnheit viele kurze Pausen und es wird mir dabei wieder bewusst, wie viele Sonnenaufgänge ich wohl unterwegs verpasst habe. Ich hätte wohl öfter mal stehenbleiben und zurückblicken sollen, es lohnt sich wirklich. Es sind wieder viele Wanderer unterwegs, alte, dicke Menschen, die nur einzelne Etappen gehen, in Herden von 20 bis 30 Leuten. An den engsten Stellen bleiben sie stehen und verstopfen die Bahn für schnelle Leute wie mich. Ich muss zwischendurch auf die Strasse ausweichen und fast rennen, um sie vernünftig überholen zu können. Und mir dann jedes Mal den Kommentar der ganzen Gruppe anhören.
Viel besser kann man es nicht anschreiben, aber als ich dieses Foto machte, fragte mich ein Pilger, ob ich wisse, wo es eine Herberge hat...
Ein Hauch von Luxus für 10 Euros; für viele Pilger zu teuer.
Die Herberge ist nicht gerade billig: 10 Euro zahle ich für die letzte Übernachtung auf dem Weg, genau gleich viel, wie ich für die erste Übernachtung bezahlt habe. Und noch ein Zufall: ich werde morgen am 17. Oktober ankommen (dessen bin ich nun mehr als überzeugt) und ich bin am 17. September los gelaufen. Ein Hauch von Luxus empfängt mich im Schlafsaal: sehr geräumig das Ganze, und es gibt sogar einen verglasten, Licht durchfluteten Innenhof mit Springbrunnen! Im ersten Moment will ich mein Lager dort aufschlagen, verziehe mich dann aber in eine andere Ecke, weil ich sonst bei dem Geplätscher noch öfters aufs Klo müsste als sonst schon. Es vergeht nämlich nach wie vor keine Nacht, ohne dass ich nicht mindestens ein halbes Dutzend Mal aufstehen muss. Wahrscheinlich gibt es Leute, die darum schauen, dass sie nicht mit mir in einer Herberge sind, so wie versucht habe, Leute abzuhängen, weil sie schnarchen. A propos Geplätscher: das wirklich nervige in dieser Herberge ist das Sopransax-Gedudel, dass ohne Unterbruch von der Decke rieselt.
Das Ende naht... Studium des Stadtplanes vom Zielort!
Am Herbergsempfang werden bereits Stadtpläne von Santiago verteilt! Ich schnappe mir einen, setzte mich damit an die Sonne und beginne, die Strassennamen zu lernen... Santiago, ich komme!!!
Donnerstag, 15. Oktober 2009
E29 - Arzua
Palas de Rei bis Arzua (km 747)
30km, 5 3/4 Std, 8 E Herberge, 6 E Boccadillo und Bier
Die drittletzte Etappe. Es wird definitiv Zeit, sich mit dem Heimweg zu befassen. Schliesslich könnte ich den Rest in 4 Stunden machen, es ist ja nicht mal mehr Marathondistanz bis Santiago! Langsam kriege ich das Kribbeln! In der Herberge 'Ultreia' (sie gehört zum 'Red de algergues Camino deSantiago', Red = Netz, sozusagen ein Gütesiegel für Herbergen) überliste ich den Computer für das Internet. Die sind nämlich meistens sehr primitiv gesichert: das Stromkabel für den Bildschirm geht nicht direkt zu einer Steckdose, sondern zuerst in einen schwarzen Metallkasten. Dieser schaltet mittels eingebauter Uhr den Strom für den Bildschirm frei. Das heutige Exemplar ist nicht abgeschlossen, und so kann ich nach ein paar geübten Handgriffen surfen, so viel ich will. Ich buche also von hier aus mittels Internet mein Busticket für die Rückfahrt und anschliessend die Hotelübernachtungen in Santiago. Wie hat man das früher nur ohne Internet hingekriegt? Das Telefon nützt mich ohne Spanischkenntnisse nichts, weil ich dann nicht mal Hand und Fuss zum Sprechen benutzen kann. Einzelzimmer sind übrigens noch schwierig zu finden, aber ein solches soll's dann schon sein. Schliesslich habe ich unterwegs gespart, bin immer in den Herbergen gewesen, und habe mit darum zum Abschluss einige Nächte ohne Schnarcher, Stirnlampenschwenker und Tütenraschler verdient! Eigentlich dachte ich ja, dass mir das Pilgerbüro bei diesen Sachen helfen wird, aber wenn ich an das erste Pilgerbüro in Frankreich zurückdenke... selbst ist der Pilger!
Die Wanderung heute ging gut, ich bin innerlich ziemlich aufgekratzt wegen des nahen Endes und bekomme so von der wahrscheinlich oder sicher sehr schönen Gegend nicht mehr viel mit. Ein bisschen Pilgerfachjargon kann ich aber noch bieten: ich laufe heute kurze Strecken auf Corredoiras. Das sind die Strassen, die man mit einem Bachbett verwechseln könnte, wenn da nicht die Trittsteine wären, auf denen man bei Regenguss und überschwemmter Strasse balancieren kann. Bleibt mir zum Glück erspart; sogar das Fernsehen berichtet ja mittlerweile vom ungewöhnlich trockenen Wetter hier. Und die zweite Vokabel, die es hier in Rudi's Spanischkurs zu lernen gibt, heisst hórreo. Hat nichts mit Horror zu tun, sondern bezeichnet die zwecks Abwehr der Mäuse auf Säulen gestellten Getreidespeicher. Auch von diesen säumen etliche den Weg heute.
Das andere Bein fängt jetzt auch noch an zu feuern, aber komischerweise wird's dadurch nicht schlimmer, sondern besser!?! Gut verteilter Schmerz ist offenbar halber Schmerz, ähnlich wie beim Gewicht des Rucksacks. Ich habe aber immer noch einen Schnitt von 5 Kilometer pro Stunde drauf. Ist auch nötig, denn ich will die vielen Radiowanderer abhängen, die heute unterwegs sind. Nicht weil ich der Schnellste sein will, sondern weil die andauernd, ausdauernd und vor allem sehr laut quatschen. Ich habe mich so an die Einsamkeit während des Laufens gewöhnt, dass ich den Lärm nicht ertrage. Nach dem Marsch gönne ich mir wieder Bier, denn die Medis scheinen ja doch nichts zu nützen. Und an die bocadillos könnte ich mich sowieso gewöhnen.
30km, 5 3/4 Std, 8 E Herberge, 6 E Boccadillo und Bier
Die drittletzte Etappe. Es wird definitiv Zeit, sich mit dem Heimweg zu befassen. Schliesslich könnte ich den Rest in 4 Stunden machen, es ist ja nicht mal mehr Marathondistanz bis Santiago! Langsam kriege ich das Kribbeln! In der Herberge 'Ultreia' (sie gehört zum 'Red de algergues Camino deSantiago', Red = Netz, sozusagen ein Gütesiegel für Herbergen) überliste ich den Computer für das Internet. Die sind nämlich meistens sehr primitiv gesichert: das Stromkabel für den Bildschirm geht nicht direkt zu einer Steckdose, sondern zuerst in einen schwarzen Metallkasten. Dieser schaltet mittels eingebauter Uhr den Strom für den Bildschirm frei. Das heutige Exemplar ist nicht abgeschlossen, und so kann ich nach ein paar geübten Handgriffen surfen, so viel ich will. Ich buche also von hier aus mittels Internet mein Busticket für die Rückfahrt und anschliessend die Hotelübernachtungen in Santiago. Wie hat man das früher nur ohne Internet hingekriegt? Das Telefon nützt mich ohne Spanischkenntnisse nichts, weil ich dann nicht mal Hand und Fuss zum Sprechen benutzen kann. Einzelzimmer sind übrigens noch schwierig zu finden, aber ein solches soll's dann schon sein. Schliesslich habe ich unterwegs gespart, bin immer in den Herbergen gewesen, und habe mit darum zum Abschluss einige Nächte ohne Schnarcher, Stirnlampenschwenker und Tütenraschler verdient! Eigentlich dachte ich ja, dass mir das Pilgerbüro bei diesen Sachen helfen wird, aber wenn ich an das erste Pilgerbüro in Frankreich zurückdenke... selbst ist der Pilger!
Die Platten unter dem hórreo dienen der Mäuseabwehr.
Noch eine Brücke zum Abschluss. Die wievielte wohl?
Die Vegetation suggeriert trockeneres Wetter als es normalerweise ist.
Die Wanderung heute ging gut, ich bin innerlich ziemlich aufgekratzt wegen des nahen Endes und bekomme so von der wahrscheinlich oder sicher sehr schönen Gegend nicht mehr viel mit. Ein bisschen Pilgerfachjargon kann ich aber noch bieten: ich laufe heute kurze Strecken auf Corredoiras. Das sind die Strassen, die man mit einem Bachbett verwechseln könnte, wenn da nicht die Trittsteine wären, auf denen man bei Regenguss und überschwemmter Strasse balancieren kann. Bleibt mir zum Glück erspart; sogar das Fernsehen berichtet ja mittlerweile vom ungewöhnlich trockenen Wetter hier. Und die zweite Vokabel, die es hier in Rudi's Spanischkurs zu lernen gibt, heisst hórreo. Hat nichts mit Horror zu tun, sondern bezeichnet die zwecks Abwehr der Mäuse auf Säulen gestellten Getreidespeicher. Auch von diesen säumen etliche den Weg heute.
Der letzte Waschtag. Dem Wasser nach zu Urteilen war er bitter nötig...
Das andere Bein fängt jetzt auch noch an zu feuern, aber komischerweise wird's dadurch nicht schlimmer, sondern besser!?! Gut verteilter Schmerz ist offenbar halber Schmerz, ähnlich wie beim Gewicht des Rucksacks. Ich habe aber immer noch einen Schnitt von 5 Kilometer pro Stunde drauf. Ist auch nötig, denn ich will die vielen Radiowanderer abhängen, die heute unterwegs sind. Nicht weil ich der Schnellste sein will, sondern weil die andauernd, ausdauernd und vor allem sehr laut quatschen. Ich habe mich so an die Einsamkeit während des Laufens gewöhnt, dass ich den Lärm nicht ertrage. Nach dem Marsch gönne ich mir wieder Bier, denn die Medis scheinen ja doch nichts zu nützen. Und an die bocadillos könnte ich mich sowieso gewöhnen.
Mittwoch, 14. Oktober 2009
E28 - Palas de Rei
Portomarin bis Palas de Rei (km 717)
24 km, 5 1/2 Std, 9E Herberge
Gegen die Schienbeinschmerzen fresse ich zwar Drogen wie noch nie in meinem Leben, aber irgendwie nützt's nichts. Ich könnte es auch bleiben lassen. Am Abend ist's jeweils OK, aber am Morgen, wenn es dann gilt, fängt's spätestens nach einer Stunde wieder an. Das Laufen an sich ist so nicht wirklich ein Genuss. Aber ich muss dankbar sein, denn im Vergleich mit anderen habe ich keinen objektiven Grund zum Jammern: ich komme ja immer noch 'planmässig' voran. Die Schonhaltung gebe ich mittlerweile auf, denn ich bin sicher, dass mir jetzt auf den letzten Kilometern nichts mehr passieren kann. Der Ärger über das Bein und die Freude, der Stolz, es bald geschafft zu haben, halten sich die Waage. Letzteres fängt sogar immer mehr an zu überwiegen. Ich lasse ein paar Melodien meine Gedanken übernehmen, denn im Gegensatz zu Winfried's These suchen sich meine Gedanken nicht "immer selber was". Die sind manchmal einfach zu faul zum Suchen. So auch heute; ich suche nicht mal neue Melodien, sondern lasse die gleichen drei oder vier wie Mantras in Endlosschleifen im Kopf abspielen.
Ich bin dankbar für das gute Wetter, so kann ich weiter in den leichteren Turnschuhen marschieren. Die Gegend ist etwas "langweilig"; ich fühle mich wie in der Schweiz. Gründe Wiesen, sanfte Hügel, Kühe. Ich weiss immer noch nicht, ob ich jetzt tatsächlich zwei Stempel pro Tag brauche, um die compostela zu erhalten. In einer Herberge habe ich das so gelesen, allerdings auf Spanisch. Ich klappere unterwegs sogar ein paar Kirchen ab auf der Suche nach Stempeln. Aber die sind entweder geschlossen oder haben keine Stempel. Eigentlich ist mir das Dokument egal, und da ich nicht katholisch bin, ist es mir auch nicht von Nutzen. Da aus Sicht der katholischen Kirche meine grösste Sünde ist, dass ich nicht katholisch bin, werden mir mit der Compostela auch keine Sünden erlassen. Vertrackte Situation :-) Ich weiss nicht, warum ich mir so viele Gedanken darüber mache, vermutlich nur, weil ich ja sonst so kurz vor dem Ziel nicht mehr viel anderes zum Denken habe.
Die Privatherberge "Buen Camino" hat zwar einen einfallslosen Namen, ist aber ansonsten eine weiteres Highlight: ich habe ein Einzelbett unter einem Dachfenster! Ganz heimelig! Bei Bier und Sonnenschein versuche ich immer noch zu ergründen, weshalb so viele Pilger sich in die Gemeindeherbergen quetschen, selbst wenn wie hier Alternativen vorhanden sind. Vermutlich wegen dem Gefühl der Gemeinschaft, weil man sich dort trifft. Ein Australier meint, es sei wohl wegen dem Geld. Die Privaten sind ja immer etwa zwei bis drei Euros teurer. Für uns einigermassen Betuchte mag das kein Argument sein, aber ich sehe heute das Paar aus Rumänien, die auch in "meiner" Herberge anklopfen, sich aber die 9 Euro pro Nase nicht leisten können. Ich bin drauf und dran, ihnen den Betrag zu spenden, denn die junge Frau, die schon in Sarria neben mir fast gestorben ist, ist immer noch krank. Da würde ich wohl aber ein falsches Zeichen setzen und hätte für den Rest des Weges unfreiwillig eine ganze Pilgerschar am Hals.
Für heute sind das genug tiefschürfende Gedanken. Ich verbringe den Rest des Tages auf der Terrasse neben der Durchgangsstrasse bei Bier und bocadillo und ertappe mich dabei, wie ich mich immer mehr schon mit der Ankunft und der Heimreise beschäftige. Dabei sollte ich doch die letzten Tage noch geniessen, vor allem bei dem Prachtswetter.
24 km, 5 1/2 Std, 9E Herberge
Gegen die Schienbeinschmerzen fresse ich zwar Drogen wie noch nie in meinem Leben, aber irgendwie nützt's nichts. Ich könnte es auch bleiben lassen. Am Abend ist's jeweils OK, aber am Morgen, wenn es dann gilt, fängt's spätestens nach einer Stunde wieder an. Das Laufen an sich ist so nicht wirklich ein Genuss. Aber ich muss dankbar sein, denn im Vergleich mit anderen habe ich keinen objektiven Grund zum Jammern: ich komme ja immer noch 'planmässig' voran. Die Schonhaltung gebe ich mittlerweile auf, denn ich bin sicher, dass mir jetzt auf den letzten Kilometern nichts mehr passieren kann. Der Ärger über das Bein und die Freude, der Stolz, es bald geschafft zu haben, halten sich die Waage. Letzteres fängt sogar immer mehr an zu überwiegen. Ich lasse ein paar Melodien meine Gedanken übernehmen, denn im Gegensatz zu Winfried's These suchen sich meine Gedanken nicht "immer selber was". Die sind manchmal einfach zu faul zum Suchen. So auch heute; ich suche nicht mal neue Melodien, sondern lasse die gleichen drei oder vier wie Mantras in Endlosschleifen im Kopf abspielen.
Solche Zahlen lassen die Gedanken schon auf den Heimweg schweifen.
Ich bin dankbar für das gute Wetter, so kann ich weiter in den leichteren Turnschuhen marschieren. Die Gegend ist etwas "langweilig"; ich fühle mich wie in der Schweiz. Gründe Wiesen, sanfte Hügel, Kühe. Ich weiss immer noch nicht, ob ich jetzt tatsächlich zwei Stempel pro Tag brauche, um die compostela zu erhalten. In einer Herberge habe ich das so gelesen, allerdings auf Spanisch. Ich klappere unterwegs sogar ein paar Kirchen ab auf der Suche nach Stempeln. Aber die sind entweder geschlossen oder haben keine Stempel. Eigentlich ist mir das Dokument egal, und da ich nicht katholisch bin, ist es mir auch nicht von Nutzen. Da aus Sicht der katholischen Kirche meine grösste Sünde ist, dass ich nicht katholisch bin, werden mir mit der Compostela auch keine Sünden erlassen. Vertrackte Situation :-) Ich weiss nicht, warum ich mir so viele Gedanken darüber mache, vermutlich nur, weil ich ja sonst so kurz vor dem Ziel nicht mehr viel anderes zum Denken habe.
Die Herberge war so gut, dass ich auch das verwackelte Bild zeigen möchte.
Die Privatherberge "Buen Camino" hat zwar einen einfallslosen Namen, ist aber ansonsten eine weiteres Highlight: ich habe ein Einzelbett unter einem Dachfenster! Ganz heimelig! Bei Bier und Sonnenschein versuche ich immer noch zu ergründen, weshalb so viele Pilger sich in die Gemeindeherbergen quetschen, selbst wenn wie hier Alternativen vorhanden sind. Vermutlich wegen dem Gefühl der Gemeinschaft, weil man sich dort trifft. Ein Australier meint, es sei wohl wegen dem Geld. Die Privaten sind ja immer etwa zwei bis drei Euros teurer. Für uns einigermassen Betuchte mag das kein Argument sein, aber ich sehe heute das Paar aus Rumänien, die auch in "meiner" Herberge anklopfen, sich aber die 9 Euro pro Nase nicht leisten können. Ich bin drauf und dran, ihnen den Betrag zu spenden, denn die junge Frau, die schon in Sarria neben mir fast gestorben ist, ist immer noch krank. Da würde ich wohl aber ein falsches Zeichen setzen und hätte für den Rest des Weges unfreiwillig eine ganze Pilgerschar am Hals.
Das typische Pilgermenü...
...und das typische Menü vor dem Menü :-)
Für heute sind das genug tiefschürfende Gedanken. Ich verbringe den Rest des Tages auf der Terrasse neben der Durchgangsstrasse bei Bier und bocadillo und ertappe mich dabei, wie ich mich immer mehr schon mit der Ankunft und der Heimreise beschäftige. Dabei sollte ich doch die letzten Tage noch geniessen, vor allem bei dem Prachtswetter.
Dienstag, 13. Oktober 2009
E27 - Portomarin
Sarria - Portomarin (km 693)
22km, 5 Std, 8E Herberge
Ein Marsch zum Vergessen. Nach anderthalb Stunden fängt das Schienbein an zu fauchen und hört nicht mehr auf damit. Ich denke an Trinas Unglück und kriege Angst, dass mir das auch passieren könnte. Ich versuche mich wieder im Vorfusslaufen, die Schonhaltung beim Verdacht auf Schienbeinkantensyndrom. Es will in dem Unwegsamen Gelände nicht so recht gelingen. Dann fängt auch noch der Knöchel an, im Schuh zu reiben. Also fliegender Wechsel zu den ausgelatschten Joggingschuhen. In diesen wiederum hat dann das Schienbein weniger halt und schmerzt mehr. Ich habe sozusagen die Wahl zwischen arg und übel. Irgendwann beschliesse ich aber, die Schmerzen zu ignorieren, weil ich mittlerweile überzeugt davon bin, dass sich daraus nichts weiter Schlimmes entwickelt. Wenigstens bin ich heute nicht alleine; allerlei Getier kreuzt meinen Weg. Begleitung lenkt doch ab, auch wenn es sich nur um Schafe handelt. Oder sind es doch Pilger? Bei vielen konnte ich das nämlich nicht unterscheiden...
Zwischendurch muss ich anhalten und könnte schreien vor Schmerz. Ich belasse es beim stillen Fluchen und hoffe, dass mich das letztendlich nicht die Compostela kostet. Der Marsch ist zum Glück mit 22 Kilometern nicht allzu lang, und so stehe ich schon bald in schwindelerregender Höhe auf der Brücke vor Portomarin. Irgendwo unter mir muss das Dorf sein, dass man im Stausee versenkt hat. Gespenstischer Gedanke.
Zur Herberge gehe ich rechts an der Kirche vorbei; kurz nach der Gemeindeherberge führt etwas versteckt ein Strässchen rechts nach unten. Angeschrieben ist nur der Weg zur Pension 'Manuel', aber der führt auch eine Pilgerherberge. Ich bin mal wieder der erste Gast. Die diensthabende hospedalera ist ausnehmend freundlich, sieht mir an, dass es mir nicht gut geht, und als ich noch etwas meine Bein bejammere beschenkt sie mich mit einer halben Schachtel Ibufen. Das will ich unbedingt bezahlen, denn Medis sind ja teuer, aber sie will davon nichts wissen. Später lerne ich, dass Medis spottbillig sind in Spanien: eine ganze Schachtel davon kostet nur 2 Euro! Ich habe die Qual der Wahl im Zimmer; nahe bei der Dusche oder nahe beim Fenster? Beim Fenster könnte es zwar lauter werden, aber ich habe ja meine Ohrenstöpsel. In der Nähe zu den WC und Duschen latschen dann alle vorbei, das ist unangenehmer. Nur, was mache ich mir da wieder für unnötige Gedanken? Die Herberge scheint nämlich ein absoluter Geheimtipp zu sein; es kommt niemand mehr. Zum zweiten Mal nach Valcarlos habe ich eine ganze Bude für mich allein!
Die Dusche hat sogar richtiges Schampo für mich bereit. Das habe ich schon lange nicht mehr gehabt; sowohl meine Haut als auch mein (Rest-)Haar und sogar die Wäsche kamen die letzten paar Wochen nur mit dem gleichen Stück Seife in Kontakt. Es sind die kleinen Dinge, die einem nach gewisser Zeit auffallen und erfreuen. Zum Beispiel gibt's hier auch Handseife auf der Toilette, auch das erste Mal auf dem Camino, und das im Zeitalter der Schweinegrippe. Wenn ich jetzt auch noch ein Frottee-Tuch hätte statt immer nur diese Microfaser - Hightech - Lumpen... Ich schlafe zwei Stunden am Nachmittag tief und fest. Das ist mir noch nie passiert. Etwas dösen vielleicht, aber ganz weg dann doch nicht. Vermutlich die Medis? Ich werde gar nicht mehr richtig wach, habe drum keine Energie für Gesellschaft und beehre darum wieder mal einen Supermarkt fürs Nachtessen.
22km, 5 Std, 8E Herberge
Ein Marsch zum Vergessen. Nach anderthalb Stunden fängt das Schienbein an zu fauchen und hört nicht mehr auf damit. Ich denke an Trinas Unglück und kriege Angst, dass mir das auch passieren könnte. Ich versuche mich wieder im Vorfusslaufen, die Schonhaltung beim Verdacht auf Schienbeinkantensyndrom. Es will in dem Unwegsamen Gelände nicht so recht gelingen. Dann fängt auch noch der Knöchel an, im Schuh zu reiben. Also fliegender Wechsel zu den ausgelatschten Joggingschuhen. In diesen wiederum hat dann das Schienbein weniger halt und schmerzt mehr. Ich habe sozusagen die Wahl zwischen arg und übel. Irgendwann beschliesse ich aber, die Schmerzen zu ignorieren, weil ich mittlerweile überzeugt davon bin, dass sich daraus nichts weiter Schlimmes entwickelt. Wenigstens bin ich heute nicht alleine; allerlei Getier kreuzt meinen Weg. Begleitung lenkt doch ab, auch wenn es sich nur um Schafe handelt. Oder sind es doch Pilger? Bei vielen konnte ich das nämlich nicht unterscheiden...
Wenigstens hatte ich Gesellschaft...
Zwischendurch muss ich anhalten und könnte schreien vor Schmerz. Ich belasse es beim stillen Fluchen und hoffe, dass mich das letztendlich nicht die Compostela kostet. Der Marsch ist zum Glück mit 22 Kilometern nicht allzu lang, und so stehe ich schon bald in schwindelerregender Höhe auf der Brücke vor Portomarin. Irgendwo unter mir muss das Dorf sein, dass man im Stausee versenkt hat. Gespenstischer Gedanke.
Die Brücke bietet atemberaubende Aussicht, vor allem für höhenängstliche wie mich.
Zur Herberge gehe ich rechts an der Kirche vorbei; kurz nach der Gemeindeherberge führt etwas versteckt ein Strässchen rechts nach unten. Angeschrieben ist nur der Weg zur Pension 'Manuel', aber der führt auch eine Pilgerherberge. Ich bin mal wieder der erste Gast. Die diensthabende hospedalera ist ausnehmend freundlich, sieht mir an, dass es mir nicht gut geht, und als ich noch etwas meine Bein bejammere beschenkt sie mich mit einer halben Schachtel Ibufen. Das will ich unbedingt bezahlen, denn Medis sind ja teuer, aber sie will davon nichts wissen. Später lerne ich, dass Medis spottbillig sind in Spanien: eine ganze Schachtel davon kostet nur 2 Euro! Ich habe die Qual der Wahl im Zimmer; nahe bei der Dusche oder nahe beim Fenster? Beim Fenster könnte es zwar lauter werden, aber ich habe ja meine Ohrenstöpsel. In der Nähe zu den WC und Duschen latschen dann alle vorbei, das ist unangenehmer. Nur, was mache ich mir da wieder für unnötige Gedanken? Die Herberge scheint nämlich ein absoluter Geheimtipp zu sein; es kommt niemand mehr. Zum zweiten Mal nach Valcarlos habe ich eine ganze Bude für mich allein!
Fast ein bisschen wie Bern: Turm und Lauben in Portomarin.
Die Dusche hat sogar richtiges Schampo für mich bereit. Das habe ich schon lange nicht mehr gehabt; sowohl meine Haut als auch mein (Rest-)Haar und sogar die Wäsche kamen die letzten paar Wochen nur mit dem gleichen Stück Seife in Kontakt. Es sind die kleinen Dinge, die einem nach gewisser Zeit auffallen und erfreuen. Zum Beispiel gibt's hier auch Handseife auf der Toilette, auch das erste Mal auf dem Camino, und das im Zeitalter der Schweinegrippe. Wenn ich jetzt auch noch ein Frottee-Tuch hätte statt immer nur diese Microfaser - Hightech - Lumpen... Ich schlafe zwei Stunden am Nachmittag tief und fest. Das ist mir noch nie passiert. Etwas dösen vielleicht, aber ganz weg dann doch nicht. Vermutlich die Medis? Ich werde gar nicht mehr richtig wach, habe drum keine Energie für Gesellschaft und beehre darum wieder mal einen Supermarkt fürs Nachtessen.
Montag, 12. Oktober 2009
E26 - Sarria
Tricastela bis Sarria (km 671)
20km, 4 Std, 7E Herberge, 15E Picknick, Karten, Briefmarken...
Mein Buch sagt 17 Kilometer, die 'offiziellen' Wegbeschreibungen, die hier überall herum liegen, versprechen deren 20. So oder so eine kurze Etappe, aber das ist in Ordnung, denn ich bin sowieso am Abbremsen. Ich befürchte, dass ich erst an einem Donnerstag per Bus von Santiago weg komme; je früher ich dort bin, umso teurer wird's. Trotzdem grüble ich lange darüber nach, ob ich die 12 km weiter soll nach Fereiros. Das Bein meckert zwar, aber der Tag ist wunderbar zum Wandern, die Gegend einmalig! In Sarria laufe ich drum entschlossen an mehreren Herbergen vorbei, bleibe dann aber mehr aus Neugier vor 'Alvaros' Etablissement stehen. Es ist erst 11.45 Uhr. Aber Sarria ist ein hübsches Städtchen, die Herberge eine wahre Oase! Garten mit Springbrunnen, Liegestühle, Terrasse, fast wie eine Wellnes-Zone. Die Superfranzosen laufen mal wieder vorbei, das Internet ist schnell, der Automat spuckt günstiges Bier aus. Mehr Vorteile kann's fast nicht geben. Die beiden Koreaner, die ich schon lange an jedem Etappenort wieder antreffe, erfüllen die positiven Klischees der Fernöstler. Ruhig, freundlich, zuvorkommend, rücksichtsvoll. Und schnarchen nicht.
Ich haue mich mit Bier und Wasser auf den Liegestuhl und muss aufpassen, dass ich mir die Beine nicht verbrenne. Um 16.00 Uhr sticht die Sonne vom Himmel wie bei uns im Hochsommer. Um diese Zeit kommen immer noch Pilger an, die problemlos ein Bett finden. Ein richtig fauler Nachmittag ist das, ich döse mit dem magern Haushund um die Wette. Zum Nachtessen gibt's nur Picknick, denn ich habe mir heute ein neues Pilgerkäppi geleistet. Wäre auch schade, bei dem Wetter in einem Restaurant zu sitzen. Am Abend entfacht der hospedalero ein Feuer im Cheminee und serviert selbsgebrannten Schnaps, Orujo, ein Tresterbrand aus Traubenschalen, der mit verschiedenen Aromen aufgepeppt wird. Das mit dem Feuer leuchtet mir zwar nicht ein, aber Schnaps ist an sich immer eine gute Idee. Ich lasse meine Medikamente wieder mal Medis sein und überrede auch noch die beiden Koreaner, das Gebräu zu probieren. Die beiden erleiden den Schock ihres Lebens; so etwas Starkes hätten sie noch nie getrunken. Anfänger.
Trina geht es gar nicht gut. Ich treffe sie vor dem Supermarkt, den Tränen nahe. Sie möchte, dass ich auf einen Kaffee mitkomme und erzählt mir ihr Malheur: Sie sei vor O Cebreiro tatsächlich im steilen Anstieg so in einen 'Marschrausch' gekommen, dass sie die Kontrolle über sich verloren habe und wie ferngesteuert vorbeigelaufen sei. Sie habe zwar Leute winken sehen, vieleicht auch mich, aber sie sei wie in Trance unfähig zu einer Reaktion gewesen. Da die nächste Herberge tatsächlich geschlossen war, kam sie auf weit über 40 Kilometer und hatte sich dabei eine Entzündung beider Achillessehnen eingehandelt. Heute habe sie knapp 10 Kilometer geschafft und dabei vor Schmerzen geheult. Es tut weh, sie in diesem Zustand zu sehen. Helfen kann ich ihr nicht, aber sie erinnert mich daran, dass auch für mich das Rennen noch nicht gelaufen ist. Also, nicht überheblich werden, altes Renntier, denn es liegen immer noch 100 Kilometer vor dir!
20km, 4 Std, 7E Herberge, 15E Picknick, Karten, Briefmarken...
Mein Buch sagt 17 Kilometer, die 'offiziellen' Wegbeschreibungen, die hier überall herum liegen, versprechen deren 20. So oder so eine kurze Etappe, aber das ist in Ordnung, denn ich bin sowieso am Abbremsen. Ich befürchte, dass ich erst an einem Donnerstag per Bus von Santiago weg komme; je früher ich dort bin, umso teurer wird's. Trotzdem grüble ich lange darüber nach, ob ich die 12 km weiter soll nach Fereiros. Das Bein meckert zwar, aber der Tag ist wunderbar zum Wandern, die Gegend einmalig! In Sarria laufe ich drum entschlossen an mehreren Herbergen vorbei, bleibe dann aber mehr aus Neugier vor 'Alvaros' Etablissement stehen. Es ist erst 11.45 Uhr. Aber Sarria ist ein hübsches Städtchen, die Herberge eine wahre Oase! Garten mit Springbrunnen, Liegestühle, Terrasse, fast wie eine Wellnes-Zone. Die Superfranzosen laufen mal wieder vorbei, das Internet ist schnell, der Automat spuckt günstiges Bier aus. Mehr Vorteile kann's fast nicht geben. Die beiden Koreaner, die ich schon lange an jedem Etappenort wieder antreffe, erfüllen die positiven Klischees der Fernöstler. Ruhig, freundlich, zuvorkommend, rücksichtsvoll. Und schnarchen nicht.
Don Alvaros Herberge mit Wellneszone und Kaminfeuer.
Ich haue mich mit Bier und Wasser auf den Liegestuhl und muss aufpassen, dass ich mir die Beine nicht verbrenne. Um 16.00 Uhr sticht die Sonne vom Himmel wie bei uns im Hochsommer. Um diese Zeit kommen immer noch Pilger an, die problemlos ein Bett finden. Ein richtig fauler Nachmittag ist das, ich döse mit dem magern Haushund um die Wette. Zum Nachtessen gibt's nur Picknick, denn ich habe mir heute ein neues Pilgerkäppi geleistet. Wäre auch schade, bei dem Wetter in einem Restaurant zu sitzen. Am Abend entfacht der hospedalero ein Feuer im Cheminee und serviert selbsgebrannten Schnaps, Orujo, ein Tresterbrand aus Traubenschalen, der mit verschiedenen Aromen aufgepeppt wird. Das mit dem Feuer leuchtet mir zwar nicht ein, aber Schnaps ist an sich immer eine gute Idee. Ich lasse meine Medikamente wieder mal Medis sein und überrede auch noch die beiden Koreaner, das Gebräu zu probieren. Die beiden erleiden den Schock ihres Lebens; so etwas Starkes hätten sie noch nie getrunken. Anfänger.
Mein neues Pilgerkäppi soll vom Landstreicherbart ablenken...
...damit ich nicht hier lande.
Trina geht es gar nicht gut. Ich treffe sie vor dem Supermarkt, den Tränen nahe. Sie möchte, dass ich auf einen Kaffee mitkomme und erzählt mir ihr Malheur: Sie sei vor O Cebreiro tatsächlich im steilen Anstieg so in einen 'Marschrausch' gekommen, dass sie die Kontrolle über sich verloren habe und wie ferngesteuert vorbeigelaufen sei. Sie habe zwar Leute winken sehen, vieleicht auch mich, aber sie sei wie in Trance unfähig zu einer Reaktion gewesen. Da die nächste Herberge tatsächlich geschlossen war, kam sie auf weit über 40 Kilometer und hatte sich dabei eine Entzündung beider Achillessehnen eingehandelt. Heute habe sie knapp 10 Kilometer geschafft und dabei vor Schmerzen geheult. Es tut weh, sie in diesem Zustand zu sehen. Helfen kann ich ihr nicht, aber sie erinnert mich daran, dass auch für mich das Rennen noch nicht gelaufen ist. Also, nicht überheblich werden, altes Renntier, denn es liegen immer noch 100 Kilometer vor dir!
Sonntag, 11. Oktober 2009
E25 - Tricastela
O Cebreiro bis Tricastela (km 651)
21km, 4 1/4 Std, 7E Herberge, 5 E Wäsche, 10E Essen u Div.
Die Spanier mögen am Abend laut sein. Dafür sind es die Franzosen am Morgen. Heute habe ich mal wieder den Langzeitpilger neben mir, der die ganze Zeit durch die Nase schnieft und beim Essen schmatzt wie ein Schwein. Heute Morgen braucht der tatsächlich geschlagene 40 Minuten, bis er seinen Krempel in die raschelnden Plastiksäcke verpackt hat. Könnte mir ja egal sein, aber der Typ steht die ganze Zeit im knapp 80 cm breiten Gang zwischen den Hochbetten und blockiert die unten liegenden, denn auf der anderen Seite kann ich nicht raus, weil immer jeweils zwei Doppelbetten nebeneinander gestellt sind! Ich habe mich schon oft gefragt, weshalb niemand das Licht anzündet, wenn doch sowieso mehr als die Hälfte der Pilger mit Stirnlampe herumrennt?
Da an Schlaf nicht mehr zu denken ist, bin ich schon um 7.45 unterwegs. Zum Glück habe ich am Abend davor recherchiert, dass man auch der Strasse entlang gehen kann, es ist nämlich wieder mal nicht nur dunkel, sondern auch noch neblig. Zum Teil sehe ich nicht mal richtig den Strassenrand; ich halte meine kleine Stirnlampe in der Hand und versuche so, die entgegen rasenden Autos auf mich aufmerksam zu machen. Ich bin hochkonzentriert und rechne damit, jederzeit in die Büsche oder halt das Bord hinunter springen zu müssen. Wieder einmal nichts mit Höhenweg und Aussicht, dafür der Asphalt, der die Schläge ungefedert an die Gelenke zurück gibt. Die ersten anderthalb Stunden verpasse ich nichts, aber dann erwartet mich das regenreiche Galizien zur regenreichsten Zeit mit strahlendem Sonnenschein! Alles ist grün um mich herum, die Wiesen, die Hügel (hier als Berge bezeichnet), fast wie im Klöntal, nur der See fehlt. Und es geht jetzt ja fast nur noch abwärts, O Cebreriro war das letzte wirklich hohe Hindernis auf dem Weg! Der Gedanke beflügelt mich. Irgendwie denke ich, jetzt ist es geschafft! Vom vielen Bergabwärtslaufen schmerzt mir dann aber zur Abwechslung wieder einmal das Schienbein. Vieleicht ist das auch nur die Rache, weil ich gestern wieder mal Wein getrunken habe. Aber die kleine Irin war so nett und hat mich wirklich ein bisschen böse angeschaut, als ich nicht mal anstossen wollte.
In Tricastela laufe ich an der offiziellen Herberge vorbei, die beiden Betonkasten am Ortseingang machen mich gar nicht an. Die Herberge Aitzenea wäre gemäss Wanderbuch die beste Adresse am Platz, ist aber completo, also voll. Warum den das, um die Zeit? Ich renne also zurück zur Herberge Oribio, die direkt an der Strasse liegt und von aussen (zum Glück) wenig attraktiv ist. Drum laufen wohl so viele Pilger Nase rümpfend daran vorbei, auch die beiden Superfranzosen; die Herberge ist gebucht... Sie entpuppt sich als äusserst sauber, fast ein bisschen übertreiben für meine mittlerweile doch etwas gesunkenen Ansprüche. Die Frau mit dem Putzkübel überschwemmt beinahe die Duschräume, so gründlich nimmt sie es. Und die ganze Zeit beklagt sie sich darüber, dass sie hier arbeiten muss, wo doch heute fiesta sei in der 'Stadt'. Ach so, drum bin ich beim Einmarsch mit Böllerschüssen begrüsst worden. Und drum ist die andere Herberge ausgebucht: die privaten füllen um diese Jahreszeit das Haus auch gerne mit Nicht-Pilgern. Cool, heute läuft also was! Kann ich brauchen, nach den doch eher etwas wilden Etappen der letzen Tage. Meine Festlaune wird durch das Duo "Eclipse" (Sonnenfinsternis) allerdings rasch gedämpft; der Keyboarder geht ja noch, aber die Sängerin macht dem Namen der Band alle Ehre. Da wegen oder trotz dem mickrigen Festchen die Restaurants geschlossen sind, begnüge ich mich einmal mehr mit chorizzo, Brot und Wein aus der tienda. Für 5 Euro lasse ich mir von der Herbergsmutter die Wäsche machen. Das sollte dann bis zum Schluss reichen. Noch das Handy an die Stromtränke, reicht dann auch bis Santiago, da es tagsüber immer ausgeschaltet ist. Bin so richtig in Zielgradenstimmung. Nur einen Telebanca bräuchte ich noch; das Geld reicht nämlich nicht mehr weit.
Ich habe übrigens tatsächlich einen getroffen, der den Camino rennend zurücklegt. Ein jüngerer Spanier hat mich heute überholt, mit speziell flachem Rucksack, in Geländeschuhen joggend. Ich kriege aus ihm heraus, dass er für einen Marathon trainiert, zu mehr reicht mein Spanisch nicht, und so kann ich leider auch nicht damit prahlen, dass ich schon vier Marathons hinter mir habe. Schade, ein bisschen aufschneiden würde mir heute gut tun.
21km, 4 1/4 Std, 7E Herberge, 5 E Wäsche, 10E Essen u Div.
Die Spanier mögen am Abend laut sein. Dafür sind es die Franzosen am Morgen. Heute habe ich mal wieder den Langzeitpilger neben mir, der die ganze Zeit durch die Nase schnieft und beim Essen schmatzt wie ein Schwein. Heute Morgen braucht der tatsächlich geschlagene 40 Minuten, bis er seinen Krempel in die raschelnden Plastiksäcke verpackt hat. Könnte mir ja egal sein, aber der Typ steht die ganze Zeit im knapp 80 cm breiten Gang zwischen den Hochbetten und blockiert die unten liegenden, denn auf der anderen Seite kann ich nicht raus, weil immer jeweils zwei Doppelbetten nebeneinander gestellt sind! Ich habe mich schon oft gefragt, weshalb niemand das Licht anzündet, wenn doch sowieso mehr als die Hälfte der Pilger mit Stirnlampe herumrennt?
Leitplanken an der Pilgerautobahn...
Da an Schlaf nicht mehr zu denken ist, bin ich schon um 7.45 unterwegs. Zum Glück habe ich am Abend davor recherchiert, dass man auch der Strasse entlang gehen kann, es ist nämlich wieder mal nicht nur dunkel, sondern auch noch neblig. Zum Teil sehe ich nicht mal richtig den Strassenrand; ich halte meine kleine Stirnlampe in der Hand und versuche so, die entgegen rasenden Autos auf mich aufmerksam zu machen. Ich bin hochkonzentriert und rechne damit, jederzeit in die Büsche oder halt das Bord hinunter springen zu müssen. Wieder einmal nichts mit Höhenweg und Aussicht, dafür der Asphalt, der die Schläge ungefedert an die Gelenke zurück gibt. Die ersten anderthalb Stunden verpasse ich nichts, aber dann erwartet mich das regenreiche Galizien zur regenreichsten Zeit mit strahlendem Sonnenschein! Alles ist grün um mich herum, die Wiesen, die Hügel (hier als Berge bezeichnet), fast wie im Klöntal, nur der See fehlt. Und es geht jetzt ja fast nur noch abwärts, O Cebreriro war das letzte wirklich hohe Hindernis auf dem Weg! Der Gedanke beflügelt mich. Irgendwie denke ich, jetzt ist es geschafft! Vom vielen Bergabwärtslaufen schmerzt mir dann aber zur Abwechslung wieder einmal das Schienbein. Vieleicht ist das auch nur die Rache, weil ich gestern wieder mal Wein getrunken habe. Aber die kleine Irin war so nett und hat mich wirklich ein bisschen böse angeschaut, als ich nicht mal anstossen wollte.
"Es grünt so grün, wenn Spaniens..."
In Tricastela laufe ich an der offiziellen Herberge vorbei, die beiden Betonkasten am Ortseingang machen mich gar nicht an. Die Herberge Aitzenea wäre gemäss Wanderbuch die beste Adresse am Platz, ist aber completo, also voll. Warum den das, um die Zeit? Ich renne also zurück zur Herberge Oribio, die direkt an der Strasse liegt und von aussen (zum Glück) wenig attraktiv ist. Drum laufen wohl so viele Pilger Nase rümpfend daran vorbei, auch die beiden Superfranzosen; die Herberge ist gebucht... Sie entpuppt sich als äusserst sauber, fast ein bisschen übertreiben für meine mittlerweile doch etwas gesunkenen Ansprüche. Die Frau mit dem Putzkübel überschwemmt beinahe die Duschräume, so gründlich nimmt sie es. Und die ganze Zeit beklagt sie sich darüber, dass sie hier arbeiten muss, wo doch heute fiesta sei in der 'Stadt'. Ach so, drum bin ich beim Einmarsch mit Böllerschüssen begrüsst worden. Und drum ist die andere Herberge ausgebucht: die privaten füllen um diese Jahreszeit das Haus auch gerne mit Nicht-Pilgern. Cool, heute läuft also was! Kann ich brauchen, nach den doch eher etwas wilden Etappen der letzen Tage. Meine Festlaune wird durch das Duo "Eclipse" (Sonnenfinsternis) allerdings rasch gedämpft; der Keyboarder geht ja noch, aber die Sängerin macht dem Namen der Band alle Ehre. Da wegen oder trotz dem mickrigen Festchen die Restaurants geschlossen sind, begnüge ich mich einmal mehr mit chorizzo, Brot und Wein aus der tienda. Für 5 Euro lasse ich mir von der Herbergsmutter die Wäsche machen. Das sollte dann bis zum Schluss reichen. Noch das Handy an die Stromtränke, reicht dann auch bis Santiago, da es tagsüber immer ausgeschaltet ist. Bin so richtig in Zielgradenstimmung. Nur einen Telebanca bräuchte ich noch; das Geld reicht nämlich nicht mehr weit.
Das Duo "Eclipse" brachte mich fast ins Grab...
Ich habe übrigens tatsächlich einen getroffen, der den Camino rennend zurücklegt. Ein jüngerer Spanier hat mich heute überholt, mit speziell flachem Rucksack, in Geländeschuhen joggend. Ich kriege aus ihm heraus, dass er für einen Marathon trainiert, zu mehr reicht mein Spanisch nicht, und so kann ich leider auch nicht damit prahlen, dass ich schon vier Marathons hinter mir habe. Schade, ein bisschen aufschneiden würde mir heute gut tun.
Samstag, 10. Oktober 2009
E24 - O Cebreiro
Pereje bis O Cebreiro (km 630)
23 km, 5 Std, 3E Herberge, 10 E Bocadillos & Bier, 9E Nachtessen
Gemäss Wanderbuch und auch gemäss Kerkeling ist das die schwerste Etappe auf dem ganzen Camino. Der über 10 Kilometer lange Anstieg nach O Cebreiro soll's ganz schön in sich haben. Aber statt Angst davor zu haben, freue ich mich darauf, mal wieder richtig nach vorne liegen zu können und die Lungen durchzulüften. Nicht wenige vertrauen für diese Etappe den Rucksack einem Transportservice an, um lastenfrei gehen zu können. Mich würde das eher belasten, wenn ich den ganzen Tag studieren müsste, ob mein Zeugs auch wirklich dort ankommt. Gestern in Pereje hatte da nämlich eine ganze Gruppe diesbezüglichen Ärger. Und das nicht etwa aufgrund von Sprachproblemen, denn es waren Spanier, aber irgendwie scheint der Rucksacktransport sehr in die Hosen gegangen zu sein. So tönte es auf jeden Fall, aber die Spanier tönen ja immer wie wenn sie fluchen würden.
Eigentlich wollte ich auf keinen Fall in O Cebreiro bleiben, weil es da nur eine einzige Herberge gibt und mir die Spanier auf den Fersen sind. Aber auf dem langen Schlussanstieg komme ich zur Einsicht. Es kann doch nicht sein, dass ich mir von anderen indirekt das Tempo bestimmen lasse? Habe ich nicht den ganzen Weg damit geprahlt, wie ich mich niemandem anschliesse, um mein eigenes Ding zu machen? Wenn ich vor jemandem davon renne, bestimmt der ja eben genau auch mein Tempo! Wäre es nicht eher an der Zeit, zu lernen, auch mit mir unangenehmen Zeitgenossen umzugehen, oder sogar anzufangen, das Gute bei ihnen zu suchen? Immerhin sind sie ja lebensfroh, vieleicht sogar lustig? Ist ja mein Problem, dass ich kein Spanisch kann! Bevor ich aber ganz lammfromm werde, will ich's noch einmal wissen: mit den Franzosen habe ich auch noch ein Problem, aber das löse noch nicht heute. Die Typen sind immer so competitive, so wettbewerbsorientiert. Heute will sich mir einer anhängen in dem schweren Stutz, aber schliesslich bin ich schon Obersee und Sonnenalp gegangen, also ist das mein Terrain. In der einen Hand halte ich lässig den aufgespannten Schirm (an sich schon eine Provokation; ein echter Pilger schwitzt in der Pelerine!), mit der anderen fuchtle ich ein bisschen mit dem Wanderstock durch die Gegend. Aber ich werde schneller und schneller, der Typ hinter mir atmet, schnauft, röchelt immer heftiger, trotz professioneller Ausrüstung und geübtem Stockeinsatz. Die Dinger scheinen also auch aufwärts nicht viel zu bringen, auch wenn es alle immer wieder behaupten. Auf einem kurzen Flachstück steht der Grenzstein zu Galizien, der letzten zu durchwandernden Provinz. Diesen muss ich unbedingt fotografieren. Der Typ, eh' schon dem Kollaps nahe, traut sich aber nicht, mich zu überholen. In seiner Verlegenheit kommt im nichts Dooferes in den Sinn als Blumen zu pflücken, bis ich mit dem Fotoshooting fertig bin...
Auf dem letzen Anstieg geniesse ich ein letztes Mal meine sadistischen, menschenfeindlichen Neigungen, denen ich ja ab heute Abend schon abschwören will und gebe nochmals tüchtig Gas. Zugegeben, auch wegen dem wieder bedrohlicher aussehenden Himmel. Diesen Stutz möchte ich nicht bei Regen gehen, die Wege werden dann sicher zum Flussbett und das zweifellhafte Vergnügen, in knöcheltiefem Lehm zu waten, hatte ich ja bereits.
Es bleibt mal wieder mehr als genug Zeit, um das herzige, etwas künstlich wirkende Steindorf zu erforschen. Es scheint ein echter Touristenknüller zu sein. Es ist Wochenende und richtiggehend überlaufen. Die wenigen Parkplätze vor und nach dem Dorf (im Dorf hätte es gar keinen Platz) sind voll von Bussen, und in den Restaurants muss ich als hungriger Pilger anstehen, um mir ein Brötchen zu ergattern. Als ich nochmals zur Herberge zurückspaziere, sehe ich Trina mit starrem Blick und weit ausholenden Schritten vorbei fliegen. Ich winke kurz, aber sie sieht gar nichts, schaut nicht links, nicht rechts. Was hat die wohl gebissen? Der Weg führt unter der Herberge durch, und oben an der Herberge erblicke ich jetzt ein Plakat, das besagt, dass die Herberge im nächsten Dorf geschlossen ist. Super. Das lesen also genau die nicht, die weiter gehen, sondern nur die, die sowieso hier bleiben! Hoffentlich weiss es Trina. Zu spät, sie aufzuholen und zu warnen.
Beim Eintritt in die Herberge wollen sie es wieder einmal genau wissen: wie alt ich denn sei. Ich sage wahrheitsgemäss "forty six", aber die Dame glaubt mir nicht. Also ein Versuch auf Spanisch: "caranta sei", aber da schüttelt sie erst recht den Kopf. Das sei falsch, belehrt sie mich, das heisse "treinta sei". Sie meint also tatsächlich, ich sei erst 36 und hätte nur ein Sprachproblem! Auch die breit grinsende Brasilianerin hinter mir in der Schlange glaubt mir nicht, ich sehe höchstens wie 36 aus! Ich weiss jetzt gar nicht, wie mir wird. Es funktioniert also: kaum nehme ich mir vor, die Leute positiver zu sehen, schon komme ich bei ihnen besser weg denn je! Wow! Das geht auch beim Nachtessen, das ich mir trotz einiger bereits vertilgter bocadillos genehmige, so weiter: eine ausnehmend freundliche, nette Irin setzt sich zu mir, obwohl es noch mindestens fünf freie Tische hat. Sie hat ein rundes Gesicht, mit strahlenden Augen und von wilder Lockenpracht umrahmt und hiesst glaub ich Nuola oder so ähnlich, und ich verbringe den gemütlichsten Abend des ganzen Caminos. Trina gestern war auch nett, aber heute kann ich Englisch sprechen! Nuola ist heute 43 (!) Kilometer gewackelt und erst vor einer Stunde angekommen. Vieleicht findet sie mich gar nicht nett, sondern hat sich vor lauter Müdigkeit einfach an den ersten Tisch gesetzt... Wir haben uns vorher nie gesehen, plaudern, scherzen und verarschen uns, wie wenn wir seit langem zusammen wären, und sehen uns anschliessend nie wieder. Typisch Camino eben.
23 km, 5 Std, 3E Herberge, 10 E Bocadillos & Bier, 9E Nachtessen
Gemäss Wanderbuch und auch gemäss Kerkeling ist das die schwerste Etappe auf dem ganzen Camino. Der über 10 Kilometer lange Anstieg nach O Cebreiro soll's ganz schön in sich haben. Aber statt Angst davor zu haben, freue ich mich darauf, mal wieder richtig nach vorne liegen zu können und die Lungen durchzulüften. Nicht wenige vertrauen für diese Etappe den Rucksack einem Transportservice an, um lastenfrei gehen zu können. Mich würde das eher belasten, wenn ich den ganzen Tag studieren müsste, ob mein Zeugs auch wirklich dort ankommt. Gestern in Pereje hatte da nämlich eine ganze Gruppe diesbezüglichen Ärger. Und das nicht etwa aufgrund von Sprachproblemen, denn es waren Spanier, aber irgendwie scheint der Rucksacktransport sehr in die Hosen gegangen zu sein. So tönte es auf jeden Fall, aber die Spanier tönen ja immer wie wenn sie fluchen würden.
Der letzte laaaange Anstieg auf dem Camino.
Eigentlich wollte ich auf keinen Fall in O Cebreiro bleiben, weil es da nur eine einzige Herberge gibt und mir die Spanier auf den Fersen sind. Aber auf dem langen Schlussanstieg komme ich zur Einsicht. Es kann doch nicht sein, dass ich mir von anderen indirekt das Tempo bestimmen lasse? Habe ich nicht den ganzen Weg damit geprahlt, wie ich mich niemandem anschliesse, um mein eigenes Ding zu machen? Wenn ich vor jemandem davon renne, bestimmt der ja eben genau auch mein Tempo! Wäre es nicht eher an der Zeit, zu lernen, auch mit mir unangenehmen Zeitgenossen umzugehen, oder sogar anzufangen, das Gute bei ihnen zu suchen? Immerhin sind sie ja lebensfroh, vieleicht sogar lustig? Ist ja mein Problem, dass ich kein Spanisch kann! Bevor ich aber ganz lammfromm werde, will ich's noch einmal wissen: mit den Franzosen habe ich auch noch ein Problem, aber das löse noch nicht heute. Die Typen sind immer so competitive, so wettbewerbsorientiert. Heute will sich mir einer anhängen in dem schweren Stutz, aber schliesslich bin ich schon Obersee und Sonnenalp gegangen, also ist das mein Terrain. In der einen Hand halte ich lässig den aufgespannten Schirm (an sich schon eine Provokation; ein echter Pilger schwitzt in der Pelerine!), mit der anderen fuchtle ich ein bisschen mit dem Wanderstock durch die Gegend. Aber ich werde schneller und schneller, der Typ hinter mir atmet, schnauft, röchelt immer heftiger, trotz professioneller Ausrüstung und geübtem Stockeinsatz. Die Dinger scheinen also auch aufwärts nicht viel zu bringen, auch wenn es alle immer wieder behaupten. Auf einem kurzen Flachstück steht der Grenzstein zu Galizien, der letzten zu durchwandernden Provinz. Diesen muss ich unbedingt fotografieren. Der Typ, eh' schon dem Kollaps nahe, traut sich aber nicht, mich zu überholen. In seiner Verlegenheit kommt im nichts Dooferes in den Sinn als Blumen zu pflücken, bis ich mit dem Fotoshooting fertig bin...
Ab jetzt bin ich in Galicien; zur regenreichsten Zeit in der regenreichsten Gegend Spaniens.
Auf dem letzen Anstieg geniesse ich ein letztes Mal meine sadistischen, menschenfeindlichen Neigungen, denen ich ja ab heute Abend schon abschwören will und gebe nochmals tüchtig Gas. Zugegeben, auch wegen dem wieder bedrohlicher aussehenden Himmel. Diesen Stutz möchte ich nicht bei Regen gehen, die Wege werden dann sicher zum Flussbett und das zweifellhafte Vergnügen, in knöcheltiefem Lehm zu waten, hatte ich ja bereits.
Der Touristenort O Cebreiro.
Es bleibt mal wieder mehr als genug Zeit, um das herzige, etwas künstlich wirkende Steindorf zu erforschen. Es scheint ein echter Touristenknüller zu sein. Es ist Wochenende und richtiggehend überlaufen. Die wenigen Parkplätze vor und nach dem Dorf (im Dorf hätte es gar keinen Platz) sind voll von Bussen, und in den Restaurants muss ich als hungriger Pilger anstehen, um mir ein Brötchen zu ergattern. Als ich nochmals zur Herberge zurückspaziere, sehe ich Trina mit starrem Blick und weit ausholenden Schritten vorbei fliegen. Ich winke kurz, aber sie sieht gar nichts, schaut nicht links, nicht rechts. Was hat die wohl gebissen? Der Weg führt unter der Herberge durch, und oben an der Herberge erblicke ich jetzt ein Plakat, das besagt, dass die Herberge im nächsten Dorf geschlossen ist. Super. Das lesen also genau die nicht, die weiter gehen, sondern nur die, die sowieso hier bleiben! Hoffentlich weiss es Trina. Zu spät, sie aufzuholen und zu warnen.
Bei besserem Wetter hätte man eine wunderbare Aussicht von der Herberge (Haus rechts).
Beim Eintritt in die Herberge wollen sie es wieder einmal genau wissen: wie alt ich denn sei. Ich sage wahrheitsgemäss "forty six", aber die Dame glaubt mir nicht. Also ein Versuch auf Spanisch: "caranta sei", aber da schüttelt sie erst recht den Kopf. Das sei falsch, belehrt sie mich, das heisse "treinta sei". Sie meint also tatsächlich, ich sei erst 36 und hätte nur ein Sprachproblem! Auch die breit grinsende Brasilianerin hinter mir in der Schlange glaubt mir nicht, ich sehe höchstens wie 36 aus! Ich weiss jetzt gar nicht, wie mir wird. Es funktioniert also: kaum nehme ich mir vor, die Leute positiver zu sehen, schon komme ich bei ihnen besser weg denn je! Wow! Das geht auch beim Nachtessen, das ich mir trotz einiger bereits vertilgter bocadillos genehmige, so weiter: eine ausnehmend freundliche, nette Irin setzt sich zu mir, obwohl es noch mindestens fünf freie Tische hat. Sie hat ein rundes Gesicht, mit strahlenden Augen und von wilder Lockenpracht umrahmt und hiesst glaub ich Nuola oder so ähnlich, und ich verbringe den gemütlichsten Abend des ganzen Caminos. Trina gestern war auch nett, aber heute kann ich Englisch sprechen! Nuola ist heute 43 (!) Kilometer gewackelt und erst vor einer Stunde angekommen. Vieleicht findet sie mich gar nicht nett, sondern hat sich vor lauter Müdigkeit einfach an den ersten Tisch gesetzt... Wir haben uns vorher nie gesehen, plaudern, scherzen und verarschen uns, wie wenn wir seit langem zusammen wären, und sehen uns anschliessend nie wieder. Typisch Camino eben.
Abonnieren
Posts (Atom)